Verborgen
sich der Name dieses Leutnants in keinen militärischen Akten, die aus der Zeit der Obristen erhalten sind.
Die Obristen konnten sich nur sieben Jahre an der Macht halten. Die führenden Männer der Junta und ihre Folterknechte wurden vor Gericht gestellt. Einige wurden verurteilt. Die meisten nicht. Viele Unterlagen waren verbrannt, andere gefälscht worden. Manche der Anführer starben im Gefängnis, aber die meisten genießen heute ihren Lebensabend auf hübschen Landgütern. Die Folterknechte sind schon vor vielen Jahren wieder freigekommen.
Viele Verbrechen wurden offiziell vergessen. Kiron Makronides ist nur einer von vielen, die einer Strafe entgangen sind. Die meisten von ihnen sind noch am Leben. Mörder und Folterer, die alles verraten haben, was Griechenland ist, war und sein sollte, und wie Kinder in Märchen ein glückliches Leben bis an ihr seliges Ende führen. Kiron ist ein typisches Beispiel. Er hat in seinem Leben zahllose Belohnungen kassiert. Er hat eine beneidenswerte Laufbahn hinter sich. Bei seiner Pensionierung war er General. In zwei Großkonzernen steht er heute noch als Berater auf der Gehaltsliste. Er ist Ritter des Ehrenordens und des Phönix-Ordens. Und du wirst lachen: Als wir ihn vor zwei Monaten auf seiner Jacht gefangen genommen haben, hat er gerade seine Orden poliert.«
»Warum macht ihr das?«
Seine Stimme klang quengelig, wie die des alten Mannes in der Höhle, und Sauer drehte sich zu ihm um und sah ihn merkwürdig an, als hätte er in einer unverständlichen alten Sprache gesprochen.
»Weil es Dinge gibt, für die es sich zu kämpfen lohnt.«
»Was denn für Dinge? Was wollt ihr damit erreichen? Eberhard, wieso ist das ein Kampf? Du bist keinen Deut besser als er, du quälst nur einen alten Mann. Ich versteh nicht, wie …«
»Die Bestrafung ist nebensächlich. In einer Woche, am Ostersonntag, lassen wir Kiron frei, vorausgesetzt, unsere Forderungen werden erfüllt. Aber auch die sind nebensächlich.«
»Du bist wahnsinnig.«
»Schon möglich, aber dann bist du es auch. Und Kiron ebenfalls. Jeder hat seinen peinlichen kleinen Zug von Wahnsinn. Die meisten verstecken ihre Neurosen und Manien, so gut es geht. Sie geben sich so vernünftig, wie sie es überwiegend gar nicht sind. Das Ganze ist letzten Endes ein lächerliches Theater, weil wir alle ahnen, dass wir mit unseren Gefühlen nicht allein sind. Wir kommen dahinter, dass die anderen genauso schauspielern wie wir. Wozu soll das gut sein? Jeder ist ein bisschen wahnsinnig. Der einzige Unterschied ist, dass manche es zugeben. Bist du wütend auf mich, Ben?«
Er antwortete automatisch, leichthin, mit körperloser, entrückter Stimme. »Ich war früher ständig wütend auf dich.«
»Dann solltest du es jetzt auch sein. Es ist nicht vernünftig, sich selbst in Narkose zu versetzen. Es gibt Dinge, auf die Wut die einzige vernünftige Reaktion ist. Das Leben von Kiron Makronides. Die Vergesslichkeit, die ihm dieses Leben ermöglicht hat. Über solche Sachen solltest du wütend sein. Hast du jemals Sparta bewundert, Ben?«
Mein Leben lang , dachte er, sagte es aber nicht, weil er das vor Eberhard nicht zugeben wollte. »Das hat nichts mit uns zu tun. Ich begreife nicht, was du dir davon erhoffst …«
»Wir hoffen, dass wir den einen oder anderen zum Nachdenken bringen. Die Menschen vergessen zu schnell. Die Vergangenheit interessiert sie nicht. Sie müssen erinnert werden. Niemand erinnert sich mehr an die Ermordung von Panos Eliopoulos, aber das wird sich ändern. Niemand will die Verbrechen Amerikas zur Kenntnis nehmen. Bis auf die Griechen natürlich: Die Griechen brauchen weniger Erinnerung als die meisten anderen. Aber wir haben beschlossen, in Griechenland tätig zu werden, weil uns Griechenland wichtig ist. Hier beginnt und endet der Westen, das Abendland. Das ist die Geburtsstätte und die äußerste östliche Grenze. Und an der Grenze braucht man uns am meisten. Griechenland ist schwach und hat unsere Hilfe verdient. Die Spartaner hatten begriffen. Wir kämpfen denselben Kampf wie sie. Wir sind hierher gekommen, um uns ins Gedächtnis zu rufen, dass andere genauso gekämpft haben wie wir. Sparta gibt uns Hoffnung …«
Er stand auf, während Eberhard noch sprach. Er spürte das verzweifelte Verlangen, sich aus der Reichweite seiner Stimme zu entfernen. Er würde ihn einfach da sitzen lassen. Den Rückweg würde er allein finden. Er konnte noch in dieser Nacht packen und in der Frühe den ersten Bus nehmen.
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