Verborgen
Er würde es nicht besser und nicht schlechter haben als zuvor. Er würde sie alle hinter sich lassen. Nichts würde ihn aufhalten.
Aber es stimmte nicht. Es war zu spät. Die Höhle hielt ihn zurück. Er hatte sie jetzt gesehen. Er wusste bereits, dass er sie nie aus seinem Gedächtnis würde streichen können. Dieses Wissen war unausweichlich. Der Mann in der Höhle würde ihn nicht gehen lassen.
Und war das schon die ganze Wahrheit? Hielten ihn die anderen nicht auch zurück? Sie waren gut zu ihm gewesen, auf ihre Art. Sie hatten ihm vertraut. Er wollte sie nicht verlassen. Irgendwo in seinem Hinterkopf meldete sich kleinlaut und bedauernswert eine Stimme mit der Frage, ob das Urteil der anderen nicht vielleicht richtiger war als sein eigenes: Er hoffte, dass er bald erkennen würde, dass das, was sie getan hatten, richtig war, und dass nur er allein unrecht hatte.
Stille hatte sich ihrer bemächtigt. Eberhard wartete darauf, dass er etwas sagte, das wusste er, aber lange Zeit fand er nichts in seinem Inneren, das er hätte in Worte fassen können.
»Er hat sich an der Hand geschnitten«, sagte er schließlich, und Eberhart seufzte.
»Schlimm?«
»Ich weiß nicht. Ich glaube nicht. Er sagt, er braucht einen Arzt.«
»Wir kümmern uns drum. Habt ihr viel geredet?«
»Ein bisschen schon.«
»Besser nicht, nächstes Mal. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Hat er sonst noch was gesagt?«
»Er hat gefragt, ob ich der Engländer bin.«
»Ach ja? Da muss ich mal ein Wörtchen mit Jason reden. Natsuko hat mir gesagt, dass er und Kiron sich in letzter Zeit für ihren Geschmack ein bisschen zu gut verstehen.«
»Werdet ihr ihm was tun?«
»Wir haben nicht die Absicht. Warum sollten wir?«
»Ich werde nichts sagen. Ich sage niemandem etwas.«
»Natürlich nicht. Ich hätte dich kaum hierherauf mitgenommen, wenn ich das auch nur eine Sekunde geglaubt hätte.«
»Aber warum hast du es überhaupt gemacht?«
»Wir haben es in Betracht gezogen, seit du mir aus Athen nachgefahren bist. Du hast uns beunruhigt. Du bist intelligent und ein guter Beobachter. Es war denkbar, dass du uns auf die Schliche kommst. Das hätte gefährlich werden können. Du hast uns kaum eine Wahl gelassen, es sei denn, wir wären bereit gewesen, dich im Eurotas zu ertränken. Was wir nicht waren, wie ich dir eiligst versichern möchte. Und wie sich herausstellte, mochten wir dich. Wir haben überlegt, ob wir dich nutzbringend einsetzen können.«
»Wie denn das?«
»Wir sind alles andere als Profis, Ben, wenn man das, was wir tun, überhaupt als Beruf bezeichnen kann… obwohl, vielleicht ist es ja der älteste überhaupt? Wie auch immer, wir brauchen alle Hilfe, die wir kriegen können. Lass uns später drüber reden, für eine Nacht hast du genug getan. Das Essen und das Wasser hast du ihm gegeben?«
»Natürlich.«
»Sollen wir dann wieder runtergehen – erst mal?«
Der Abstieg war nicht so anstrengend; die Taschen waren leichter, die Felsen, die Bäume, der Asphodelos boten nicht mehr so viel Widerstand. Sie sagten nichts mehr, bis sie im Auto saßen und den Fahrweg zu der Straße am Fluss hinunterfuhren. Seine frühere Trägheit war verflogen, er verspürte nur noch körperliche Müdigkeit und langsam aufsteigende Panik. Sie kam und ging mit seinen Gedanken an die Höhle, diesem Wahnsinn, der bald unerträglich war, bald so wenig aufregend wie die Nachricht von einem fernen Krieg.
»Geht’s um Geld?«
»Wir nehmen an, dass Geld riskant wäre. Wenn wir es fordern, müssten wir es auch entgegennehmen. Und die Übergabe würde uns alle gefährden. Jason war absolut für eine finanzielle Regelung, aber Max war dagegen. Er kann sehr überzeugend sein, wenn er es drauf anlegt, und er hat Erfahrung auf dem Gebiet. Also nein, es geht nicht um Geld. Wir verlangen Freiheit. Einen Gefangenenaustausch.«
»Gegen wen?«
»Leute wie uns.«
»Ihr habt es auf See gemacht«, sagte er, und Eberhard nickte, ohne den Blick von der Straße zu nehmen.
»Es lief alles glatt, größtenteils. Max hatte genaue Angaben über die Jacht. Kiron lag in Lavrio vor Anker, nicht weit von seinem Anwesen. Seit seine Frau gestorben ist, segelt er oft. Wir sind ihm aufs offene Meer gefolgt. Gut für uns: Er war betrunken. Den einzigen Ärger hatten wir uns selbst zuzuschreiben. Jason ist auf dem Rückweg in Gythion in eine Schlägerei geraten. Zu der Zeit war er schon völlig überdreht. Es war spätnachts, und er wollte partout noch Champagner kaufen.
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