Verborgen
so gut wie nichts gesagt. War nicht zu mehr fähig gewesen, als das Gespräch der anderen über sich ergehen zu lassen; ihr Geplauder war bald erloschen, bald wieder aufgeflammt, und ihre Kameradschaft hatte ihm zu denken gegeben. Anfangs war er sich sicher gewesen, dass sein Urteil über sie und das, was sie getan hatten, feststand; doch als es dann Zeit wurde zu gehen, hatte es ihm doch leidgetan, sie zu verlassen. Genau wie immer.
Ein Hund bellte draußen am Stadtrand. Zum ersten Mal seit Wochen hatte er von den Schakalen geträumt. Er war wieder in der Höhle gewesen, das Licht der Taschenlampe war nach unten gedrungen, und als der Gefangene in den Schein trat, war sein Kopf nicht mehr der eines Menschen gewesen. Er war ein Zwitterwesen, ein Hundemensch oder ein Schakalgott. Er hatte sich in Anubis verwandelt.
Das Bett hinter ihm quietschte. Er wandte sich nicht vom Fenster ab. Er hörte, wie Natsuko aufstand, ihr Gähnen, das Tappen ihrer Füße auf den Fliesen, das anfangs von der Badtür gedämpfte Plätschern der Klospülung. Er lehnte sich in ihren Kuss zurück, als sie die Arme um ihn schlang.
»Du hast mich verlassen.«
Vorwurfsvoll. Ihr Atem roch süß nach Schlaf. Er konnte nicht anders, er musste ihr Lächeln erwidern.
»Ich bin doch noch da, oder?«
»Du hast mich allein weiterschlafen lassen. Ich will mit dir schlafen. Du gehörst jetzt mir. Verlass mich nie wieder.«
»Ich verlasse dich doch nicht«, sagte er und zog sie herunter.
Er verbrachte den Nachmittag allein. Natsuko heckte einen ehrgeizigen Plan für eine Wanderung mit Picknick aus, aber er konnte die Berge nicht mehr sehen. Und auch sie nicht. Er wolle an den Notizen für seine Dissertation arbeiten, sagte er, aber ihrem Gesichtsausdruck nach wusste sie, dass das eine Lüge war, was er selbst eigentlich erst merkte, als er sich an den Schreibtisch setzte, den Kopf auf die Hände stützte und unverwandt in das silbrigblaue Licht des Laptops starrte.
Verlass mich nicht , hatte sie noch einmal leise gesagt, als sie ging. Wie oft hatte er sich danach gesehnt, dass Emine das zu ihm sagen würde.
Er fragte sich, ob er die anderen verraten würde. Eberhard vertraute ihm, aber sogar Eberhard konnte sich irren. Auch Emine hatte ihm früher einmal vertraut.
Nicht weit vom Museum war eine Polizeiwache. Er würde in einem fensterlosen Raum sitzen und die angebotenen Zigaretten rauchen, während der diensthabende Beamte die verrückte Geschichte des Ausländers zu Protokoll nahm und schließlich widerstrebend seine unbeliebtesten Untergebenen losschickte, damit sie im Schweiß ihres Angesichts bis zu den Höhlen hinaufstiegen.
Nein. Nicht so. Er würde anrufen. Er konnte es anonym machen. Namen waren überflüssig, bis auf den von Makronides. Es gab eine Telefonzelle an der Landstraße, auf dem Stück, wo keine Laternen mehr standen. Er konnte es nachts machen. Dort würde ihn niemand sehen. Makronides würde ihnen Sachen erzählen…
Sind Sie der Engländer?
… doch bis dahin hätte er Zeit, alles zu erklären, den anderen zu sagen, was er getan hatte und warum. Um es wiedergutzumachen: um zu erreichen, dass sie von hier verschwanden.
Was würden sie sagen? Was würde er in ihren Augen sehen? Er konnte es nicht tun. Er konnte ihnen nicht gegenübertreten. Es war unerträglich.
Dann würde er sie eben verlassen. Darin hatte er Übung. Irgendwann an diesem langen Nachmittag stand er auf und begann zu packen. Er verlor die Geduld mit sich selbst, noch bevor er aufgab. Er hatte es schon ganz richtig erkannt, als sie auf dem Felsblock unterhalb des Gipfels gesessen hatten. Die Höhle konnte er nicht zurücklassen. Er hatte sie jetzt gesehen. Es war zu spät, um die Augen davor zu verschließen.
Er saß reglos auf seinem Stuhl, bis die Dämmerung hereinbrach. Es war immer noch warm. Sein Hemd war schweißdurchtränkt. Er dachte an Heldentum und Feigheit. An Orpheus, der zurückschaute, und Perseus und Herakles, die frohgemut jeden umbrachten, der ihnen im Weg stand. Halbmenschen und Ungeheuer. Medusa, die tödliche Gorgone, deren Blick hohl und kalt war; der Kopf mit Drachenschuppen umwickelt.
Hast du libyschen Boden betreten?
Hattest du die Aufgabe des Perseus?
Hast du das Auge gesehen, das alles in Stein verwandelt?
XIV
Aufzeichnungen für eine Doktorarbeit
W orte sagen nichts. Wie kann das wahr sein? Worte sagen . Nur dadurch sind sie. Wenn sie nichts sagen, sind sie nichts.
Es ist wahr. Worte sind nichts, wenn
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