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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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Jemand in dem Laden hat eine blöde Bemerkung über Natsuko gemacht. Wir waren alle Neulinge auf dem Gebiet, bis auf Max. Es war für uns alle schwierig, aber Jason ist am wenigsten damit klargekommen. Wir haben in Gythion mehr Aufsehen erregt, als uns lieb war … Aber alles in allem ist es eigentlich ziemlich glatt gegangen.«
    »Seid ihr so was wie Die Vögel?«
    »Eher nicht. Die Zeiten haben sich geändert.«
    »In welcher Hinsicht?«
    Eberhard schien die Frage überhört zu haben. Seine letzten Worte hatten wegwerfend geklungen, und als er endlich doch antwortete, hatte der Straßenlärm schon so zugenommen, dass es kaum nach einer Erwiderung klang.
    »Du hast von Hoffnung gesprochen. Das ist die Veränderung. Du weißt, was Utopia bedeutet?«
    »Es ist ein Wortspiel. Aus dem Griechischen. Outopia und Eutopia. Was im Englischen beides gleich ausgesprochen wird. Also Kein-Ort und Gut-Ort .«
    »Genau, ein Wortspiel. Der Mann, der es geprägt hat, meinte beide Bedeutungen, also ein unmögliches Paradies. Seltsam oder, dass so viele Menschen sich nur an Letzteres erinnern? Sie halten sich an die Idee von einem Paradies, nicht an die Unmöglichkeit. Woran liegt das?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Hoffnung. Ich glaube, daran liegt es. Ich finde das tröstlich, du nicht? Die Zeiten haben sich geändert, aber es gibt noch Hoffnung. Vor dreißig Jahren, als Die Vögel aktiv waren, gab es überall auf der Welt noch Menschen, die ganz offen auf Utopia hofften. Manche setzten ihre Hoffnung auf den Kommunismus, manche glaubten an Gottes Willen auf Erden. Jetzt ist die Mauer gefallen, und die Kirchen sind leer. Die Zeiten haben sich geändert, nicht aber die Fähigkeit zu hoffen. Die Frage ist: Worauf soll man hoffen? Worauf werden die Menschen ihre Hoffnung setzen, wenn es nichts mehr gibt, woran man glauben kann? Das ist die Veränderung und die Chance und die Herausforderung für uns. Manche sagen, dass wir in einem zynischen Zeitalter leben, dass die Menschen nur noch auf ihren persönlichen Gewinn hoffen. Ich halte das für einen Irrtum. Es wird immer Menschen geben, Menschen wie dich, die nach mehr streben als Eigennutz, Ben, nach etwas Größerem, woran sie glauben können. Du bist nicht unschuldig. Du durchschaust das Wesen von Utopia. Doch selbst wenn wir akzeptieren, dass manches nie eintreffen wird, müssen wir tun, was wir können. Es ist unsere Pflicht, auf große Dinge zu hoffen. Verstehst du?«
    »Was kümmert das dich?«
    »Entschuldige, aber es kümmert mich sehr wohl, Ben. Du brauchst ein bisschen Zeit.«
    »Du klingst wie Die Vögel, weißt du das? Du redest wie ein beschissenes Manifest.«
    »Das ist nicht das Zeitalter der Manifeste. Keiner liest mehr. Keiner hört zu. Sie sehen alle nur zu. Sie wollen nur Taten.«
    »Taten sprechen lauter als Worte.«
    »Nicht mehr. Taten sind heute die einzige Sprache, die zu sprechen sich lohnt. Worte sagen nichts. Da sind wir.«
    Sie hatten vor dem Haus der Mädchen gehalten, am Rand des Kathedralenplatzes.
    »Was machen wir hier?«
    »Unsere Sorgen ertränken, nehme ich an. Du hast übrigens ein paar Blätter im Haar. Sollen wir reingehen? Die anderen haben sicher schon angefangen. Natsuko kocht für uns. Ich hoffe, wir haben sie nicht warten lassen.«
     
Er wachte auf und war wütend. Er lag in ihren Armen. Wollte sich von ihr lösen, ohne sie zu wecken, doch sie waren völlig ineinander verschlungen, und sie ließ ihn nicht los. Sie runzelte im Schlaf die Stirn über ihn und murmelte etwas Unwilliges, liebreizend und herrisch und unentwirrbar.
    Es war keine Milch da – es war Palmsonntag, und das Hotel geizte seit Neuestem mit Gratisgaben, als sei er schon zu lange dort zu Gast –, doch er setzte wie immer den Wasserkessel auf, machte Tee und trank ihn ohne alles, am Fenster mit der Aussicht über Sparta. Das Hotel wirkte immer noch verwaist, doch gab es Anzeichen, dass das eine oder andere Zimmer neuerdings bewohnt war. Auf dem Balkon eines der besseren Zimmer hingen drei Handtücher auf einer Leine, die jetzt wie Flaggen im Wind wehten. Es war ungewöhnlich warm für die Jahreszeit: In den Lokalzeitungen wimmelte es von Berichten über flippige Vorsaison-Touristen und Zikaden.
    Der Swimmingpool war voller mandelförmiger heller Flecke, Vormittagslicht, das von den Fensterreihen der Wohnblocks dahinter reflektiert wurde.
    Er hatte Kopfweh wie bei einem Kater, obwohl er den Wein in der Nacht nicht angerührt hatte. Er hatte kaum etwas getrunken oder gegessen und

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