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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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Menschen bedroht, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen.
     
Der Dienstag brach an, als sei es plötzlich Sommer geworden. Die Fahrt hinauf war schweißtreibend, und als sie im gefleckten Schatten unter den Zypressen ausstiegen, fanden sie Therapne verwandelt, nicht fürs Auge, wohl aber fürs Ohr, denn die Hänge schrillten vom ekstatischen Zirpen der Zikaden.
    Sie stellten sich neben Eberhards Volvo. Auch Themeus und Elias waren vor ihnen gekommen und werkelten schon pflichtschuldig an den dunklen Flecken der alten Gruben. Sie schauten nicht von ihrer Arbeit auf, als Ben und Natsuko, Jason und Eleschen an der Kapelle vorbeistiegen und nach unten Richtung Schweinestall verschwanden.
    Sie hatten die letzten acht Tage verbissen gegraben. Es war, als läge die Quelle ihrer Ängste unter der Erde, als könnte sie entdeckt und beseitigt werden. Die neue Ausgrabung war nicht mehr wiederzuerkennen. Aus einer Grube waren zwei geworden, verbunden durch einen Erkundungsgraben, eine lange Wunde im Lehm, die sich südwärts bis in die Bäume hinzog. Max war überzeugt, dass es dort mehr gab als den Mist- und Abfallhaufen, den sie unter Missys Anleitung gefunden hatten, doch bislang war alles fruchtlos geblieben. Nichts war ans Licht gekommen außer ärmlichsten Kleinfunden und den labyrinthischen Wurzeln von Perückensträuchern, Steineichen und Kiefern.
    Sie arbeiteten an diesem Morgen paarweise, Ben mit Jason in der südlichsten Grube. Dort war das Graben am schwersten, und er war froh darüber. Je intensiver die Arbeit, die er vorfand, desto leichter fiel es ihm, sich selbst zu vergessen, den Punkt zu erreichen, an dem er zum besinnungslosen Tier wurde, zu einem stechenden, grabenden Wesen, das weder Zeit noch Grund hatte, über mehr als die vor ihm liegende Aufgabe nachzudenken. Nur manchmal wurde ihm dunkel bewusst, dass Jason neben ihm kniete, immer noch atemlos, unaufhörlich redete wie die ganze letzte Woche (und war das nicht vielleicht nur seine Methode, genau den Zustand der Gedankenlosigkeit zu erreichen, den Ben selbst mit anderen Mitteln anstrebte?) und seine Schaufel genau wie Ben irgendwie einsetzte, wie einen Hammer oder einen Speer, einen Dolch oder ein Ruder.
    Er hielt nur inne, wenn er merkte, dass Jason weg war. Mit dem Handrücken wischte er sich dann den Schweiß aus den Augen, und wenn er aufschaute, sah er die anderen, die zu fünft im Schatten der Bäume saßen und miteinander aßen.
    Er warf die Schaufel auf einen Haufen Aushub und schaute auf die Uhr. Es war eins vorbei. Seine Hände bluteten. Er verschränkte die Arme, presste den Schmerz in seine Seiten. Sein Atem beruhigte sich. Undeutlich hörte er die anderen reden, und die Zikaden. Ein dürres, urtümliches Gelächter.
    Ha. Ha-ha. Ha-ha. Haaaah-
    Er hievte sich aus der Grube und ging durch die abseits stehenden Kiefern. Jason hob die Hand. Er trug Strandkleidung, wie Ben jetzt erst auffiel, und lag, alle viere von sich gestreckt, im Schatten, auf einem Bett von Kiefernnadeln, nicht faul, aber schlaff, mehr Leiche als Sonnenanbeter.
    »Der Soldat kehrt aus dem Krieg heim.«
    Ben ließ sich neben ihm nieder. »Nenn mich nicht so.«
    »Aber das bist du. Du hast den Mumm dazu. Den hat nicht jeder. Ich hab gesehen, was du mit diesem Schakal gemacht hast.«
    Er streckte sich aus und schloss die Augen. Er spürte das Pulsieren des Bluts in seinen Händen, konnte über sich eine Singdrossel hören. Eleschen murmelte. Max brummelte.
    »Hör dir die Zikaden an!«
    »Ich hör sie.«
    »Die klingen, als würden sie nie müde. So wie das Meer nie müde wird. Erinnerst du dich an Gythion, bevor wir ausgelaufen sind? Die Sonne kam raus, und du hast gesagt, am Meer hätte es dir schon immer gefallen. Du hast so gut ausgesehen. Können wir da irgendwann noch einmal hin?«
    »Nein.«
    »Mir hat’s da gefallen. Damals hat mir alles noch besser gefallen. «
    »Aber jetzt ist doch auch alles gut.«
    »Ich weiß. Ich sag ja nicht… Es hat mir einfach gefallen. Die Zikaden haben mich daran erinnert. Das ist alles. Mit ihnen kommt man sich vor wie im Sommer.«
    »Die Zigeuner mögen sie nicht. Sie sagen, es bedeutet Unglück, wenn die Zikaden zu früh kommen.«
    »Sag das nicht. Warum sagst du das?«
    Jason stieß ihn in die Rippen, grinste ihn von der Seite her an, die Augen unsichtbar hinter der Sonnenbrille. »Der geborene Killer bist du. Wir brauchen Leute wie dich. Neuerdings gräbst du sogar wie einer. Du müsstest einen Orden kriegen,

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