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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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nach denen er sucht, für immer verloren gehen. In dem Moment, in dem wir zu graben anfangen, beginnen wir schon zu verlieren, was wir finden wollen. Bei einer Grabung gibt es kein Zurück…«
    Einmal hob Emine die Hand wie zum Gähnen an den Mund, aber sie gähnte nicht; ihre Augen schweiften, sprühend von Heiterkeit, zu Foyt hinüber, doch später, als sie mit dem Bus nach Risinghurst zurückfuhren, war sie missgelaunt.
    »Ich mag ihn nicht. Foyt. Ich kann ihn nicht ausstehen.«
    »Wieso?«
    »Weil er…« Ihr Akzent trat deutlicher hervor, wie immer, wenn sie sich ärgerte; auch bei ihm war das so. »Er ist ein mieser, eingebildeter alter Gockel.«
    Ihre Ausdrucksweise erinnerte ihn an das Essen, das sie für seinen Bruder gekocht hatte, und er musste lachen.
    »Du glaubst wohl, ich mache Witze.«
    »Nein, natürlich nicht. Warum solltest du?«
    »Du bist so ein Idiot. Du hast es nicht mal gemerkt.«
    »Was gemerkt? Hat er sich unterm Tisch einen abgewedelt?«
    »Sei nicht so eklig.«
    »Eklig und Eingebildet. Böse Zwillinge, bei der Geburt getrennt. «
    »Das ist nicht komisch.«
    Zu spät merkte er, wie ihre Wangen sich röteten, ein Zeichen, dass sie ernsthaft böse war. »Hey. Okay, er ist ein eingebildeter alter Gockel. Hat er dich angefasst?«
    »Das nicht.«
    »Was dann?«
    Aber Emine sah ihn nur an, und ihre Augen verrieten nichts. Er kam sich vor, als hätte er selbst etwas Schlimmes getan, und als sie weitersprach, wechselte sie das Thema. Danach redeten sie jahrelang nicht mehr von Foyt, jedenfalls nicht ernsthaft, bis zu dem Abend, an dem sie ihm sagte, dass er, Ben, eine Gefahr für sie sei, körperlich und seelisch. Dass sie ihn verlassen werde und für wen sie ihn verlassen werde.
    … Das nicht. Hatte sie mit der Antwort gezögert? Oder ging in der Erinnerung seine Phantasie mit ihm durch? Es war so leicht, diese Erinnerungen im Nachhinein zu verfälschen. Das alles lag nun schon Jahre zurück, und er war sich nicht mehr sicher.
    Er träumte von Sparta und erinnerte sich danach an nichts mehr, und er träumte von Emine und erinnerte sich an alles. Es war ein besserer Traum als die Träume davor.
    Ihr Haar lag neben ihm auf dem Kissen, die Strähnen wie Licht und dunkler Honig, sommergebleicht; er drehte sich um, folgte ihm (dem Kissen und dem viel zu langen Haar) und sah, dass sie auch da war und ihn erwartete. Er küsste sie, spürte, wie sie nach ihm fasste, spürte, wie sie ihnen beiden das Laken wegzog. Ihre Pupillen waren erweitert vor Verlangen. Es war, als sei nie etwas schiefgelaufen zwischen ihnen. Als sie kam, legten sich ihre Finger auf ihren Mund, als sei ihre Lust etwas längst Vergessenes.
    Beim Aufwachen wusste er, was zu tun war.
     
Er rief bei der British School an, einer alten archäologischen Einrichtung, nicht weit von der Pension, in der er die ersten Tage in Athen gewohnt hatte. Zwei Tage später bekam er im Restaurant einen Anruf. Man habe auf seine Bitte hin Nachforschungen über Ausgrabungsarbeiten in Lakonien angestellt; eine Frau Dr. Fischer wolle ihn sprechen.
    Der Tag war schon warm. Der Frühling nahte. Er ging zur British School. Jenseits des grünen Geländes kletterten Flachdächer und gestreifte Markisen zum Lykabettos hin bergan. Eine bleichgesichtige Mitarbeiterin führte ihn in Dr. Fischers Büro und schloss die Tür hinter ihm.
    Der Raum war leer. Zwischen zwei Bücherwänden eine Wand mit Bildern. Altertümliche Fotografien. Eine Frau in abgetragenem Schwarzweiß, breitbeinig auf den Resten einer Zyklopenmauer, als stünde sie auf einem erlegten Elefanten. Eine Aufnahme von Delphi bei Tagesanbruch mit Reitern zwischen den Säulen. Die Großmoguln der Archäologie, die im Namen ihrer Reiche Anspruch auf Goldschätze erhoben hatten: Schliemann, vor einer Gruppe von Ingenieuren sitzend, Layard, mit einem Heer von Tunnelbauern posierend, Carter, unmittelbar nach der Plünderung des Grabes Tutanchamuns Autogramme gebend, die Dunkelheit ringsum mit Blitzlichtern bestirnt.
    Hinter dem Schreibtisch zwei Schiebefenster voller Aloepflanzen, deren an die Scheiben gedrückte Blätter den Raum dschungelgrün färbten. Der Schreibtisch war vollgepackt. Originalgetreue Kopien von etruskischen und phönizischen Inschriften und Texten aus den Elephantine-Papyri. Eine blaue Schachtel Eisbonbons. Ein Artikel in französischer Sprache über die Bombenanschläge auf zwei Synagogen in Istanbul. Eine alte Broschüre – Kurzdarstellung der Lehren Zarathustras & Platons –

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