Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
Vom Netzwerk:
Kellner nahm mit strenger Miene seine Bestellung auf, als sei das Frühstück alles andere als eine belanglose Mahlzeit. Als er aufgegessen hatte, war immer noch keine Nachricht da, und es hatte auch niemand nach ihm gefragt.
    Er wurde immer ungeduldiger. Sollte er den ganzen Vormittag hier drinnen vertrödeln?
    Er hätte sich die Stadt ansehen oder auf eigene Faust nach den anderen suchen können. Blöd, einfach dazusitzen und nichts zu tun, während draußen die Sonne schien und Sparta vor der Tür lag. Er hinterließ eine Nachricht an der Rezeption, stieg über das glänzende MENEΔAION des Jungen und ging die Straße hinunter.
    Das also war Sparta, der Grund seiner Freude beim Aufwachen. Eine breite Straße – ein von Orangenbäumen gesäumter Boulevard voller Menschen, die zu spät zur Arbeit gingen, mit Ständen, an denen Kaugummi, Schokolade, Zündhölzer, Uhren und Taschenbücher feilgeboten wurden. Eine Allee knolliger Palmen, deren Stämme in Efeu gehüllt waren wie in militärische Wintermäntel. Ein Platz mit Kolonnaden an einer Seite. Eine Schar Pommes essender Schulmädchen. Ein umgebauter Pick-up, der mit voll aufgedrehten Boxen vorbeirauschte. Ein Pritschenwagen voller kläffender Hunde. Zwei Jeeps, vollgepackt mit Kadetten. Streng geometrische Straßen. Aus vergitterten Fenstern hängende Regenschirme. Die Sonne plötzlich hinter Wolken, der Himmel bleiern. Ein Geschäft, in dem es Zwiebeln und Eier, Comics, Kastanien, Munition für Schrotflinten und vierzehn verschiedene Zigarettenmarken gab. Eine Platane, die unter ihren tentakelartig nach unten gebogenen Ästen vier Tische, drei alte Männer, zwei Kinder und ein Backgammonbrett barg.
    Es fing an zu regnen, zuerst nur einzelne Tropfen, die den Staub anfeuchteten, dann immer ernsthafter. Er suchte Zuflucht unter einer Reihe Johannisbrotbäume. Andere waren schon da. Eine alte Frau nickte ihm zu und schaute dann weg, als hätten sie sich hier schon so oft getroffen, dass man sich belangloses Geplauder sparen konnte. Ein Mann in Hemdsärmeln kam aus einem Haus und fing an, sein Auto mit einem Besen zu waschen. Die alte Frau nahm ein Handy aus ihrer Handtasche und schaute stirnrunzelnd auf die kopfstehende Zeitangabe.
    Ruf mich an. Noch was, was ich nicht sagen würde.
    Einer nach dem anderen verließen die Müßiggänger ihre Plätze unter den Bäumen. Als der Regen allmählich das Laub durchdrang, war außer ihm niemand mehr da. Er hielt Ausschau nach einem besseren Unterstand. Hinter den Johannisbrotbäumen lag ein öffentlicher Park, etwa einen Häuserblock lang, dessen Fußwege sich zwischen regendunklen Statuen hindurchschlängelten. Auf einer Seite war ein von Karyatiden flankiertes Tor, dessen Gebälkfries eine Inschrift trug:
     
    ARCHÄOLOGISCHES MUSEUM SPARTA
     
    Er zog sich das Jackett über den Kopf und lief los. Die Tür war zu: Er klopfte eine Zeit lang, und das Wasser lief ihm in den Kragen, dann stellte er fest, dass sie nicht abgeschlossen war. Er stieß sie auf und wischte sich Gesicht und Hände ab.
    Trockene Kirchenluft: Geschmack und Geruch von Kalkstein. Das Atrium war leer und unbeleuchtet, von Säulen umstanden, von Galerien ausgehöhlt. Weniger Museum als Mausoleum. Noch ein Schritt, und in dem Raum vor ihm ging ein Licht an. Einen Moment lang konnte er hineinschauen – ein Holzstuhl, ein einfacher Heizstrahler –, dann kam die Wärterin herausgeschlurft. Sie seufzte und schob seine Münzen ungehalten beiseite, als wären sie eine schwere Beleidigung, als wäre seine bloße Anwesenheit eine persönliche Kränkung.
    Matte Lichter gingen flackernd in den seitlichen Räumen an. Die Wärterin schimpfte wegen einer kaputten Birne vor sich hin. Er ließ sie zurück und durchquerte einen Raum voller Waffen. Doch er hörte sie noch. Sie trottete hinter ihm her, ihr unverhohlen misstrauisches Gesicht in der Schwebe zwischen einem Schaukasten voller Speerspitzen und einer Ansammlung von Schwertklingen. Er wandte sich wieder den ausgestellten Objekten zu, tat so, als nähme er sie nicht zur Kenntnis, und verbiss sich den Ärger ebenso wie das Lachen. Schließlich vertiefte er sich so in die Betrachtung, dass er nicht hörte, wie sie wegging, und erst merkte, dass sie aufgegeben hatte, als er aufschaute und feststellte, dass sie nicht mehr da war.
    So viele Schlangen. Das war überraschend, und er hatte keine Lust mehr auf Überraschungen. Was hatten Schlangen mit Sparta zu tun? Hier kämpfte ein Mann eine Schlange nieder, dort

Weitere Kostenlose Bücher