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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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er kannte die Wegbeschreibungen, die man häufig bekam – die Entfernungen waren nie so groß, wie freundliche Fremde einen glauben machen wollten; aber er hatte schon eine hübsche Strecke zurückgelegt, vom Hotel etwa drei Kilometer. Er umging ein Dorf, machte kehrt und folgte wieder dem Fluss. Die Ufer waren mit überhängendem Oleander und Riesengräsern gesäumt, deren Stängel und Blätter so hoch wie Bäume aufragten und so dick wie die Stämme junger Bäumchen waren. Die Hügel rückten näher. Die Luft wurde kälter. Stille breitete sich über das Land, als wartete es auf etwas. Orangenduft wehte heran, mischte sich mit seinem Schweiß und roch einen Moment lang nach Salz, als wäre der Geruch des Meeres dreißig Kilometer landeinwärts vorgedrungen.
    Ein Donnerschlag rollte zwischen den Bergen und hallte von den Hängen wider. Er ging schneller. Die Straße war schmal und die meiste Zeit leer. Ein Traktor fuhr vorbei, zurück zur Hauptstraße. Er schob die Hände in die Hosentaschen und ging weiter.
    Er versuchte abzuschätzen, wie weit er gegangen war. Etwa sechs Kilometer vom Hotel, viel mehr konnte es nicht sein. Der Schirmverkäufer hatte gesagt, er solle die erste gute Straße bergauf nehmen. Ein Laster kam vor ihm einen schlammigen Fahrweg herab, und er blieb daneben stehen und schaute unschlüssig nach oben, bevor er in derselben Richtung weiterging.
    Es fing an zu regnen, zunächst so sanft, dass er es kaum merkte, bis er sah, dass der Asphalt glänzte. Er blieb stehen, um den Regenschirm aufzuspannen. Beim Kauf war es ihm nicht aufgefallen, aber jetzt sah er, dass der Stoff mit dem Konterfei eines bekannten rechtsgerichteten Politikers bedruckt war. Unter dem strahlenden Gesicht ein Slogan: Schutz bei jedem Wetter. Etwas überholte ihn zischend, und er schaute zu spät auf, um es anzuhalten.
    Die Kälte kroch unter seine Kleider. Dumm von ihm, sie nass wieder anzuziehen. Vor ihm war eine Kieferngruppe, schüttere Bäumchen, die keinerlei Schutz boten. Er ging weiter. Der Regen durchweichte seine Schuhe. Er kam an einem Bildstock am Straßenrand vorbei, dessen Opfergaben in dem Behältnis aus Zinn und Glas – eine Packung Kleenex, eine Flasche Claymore – ausgeblichen und knochentrocken waren.
    Ein Blitz, dann wieder Donner, gewaltig zwischen den Talwänden. Er kam nur noch mühsam voran. Der Asphalt verschwand schier in dem Wolkenbruch. Von hinten näherten sich Scheinwerfer, er streckte die Hand aus und fluchte obszön auf sich selbst und das Auto, das weiter durch den Regen pflügte.
    Er kam an die eine gute Abzweigung. Die Straße des Schirmverkäufers war in Schlamm versunken. Er kletterte durchs Unterholz, bis er höheres Gelände erreicht hatte; den Regenschirm zog er hinter sich her.
    Er ging weiter, den Blick auf seine Füße gesenkt. Es kam ihm vor, als wandelte er auf Wasser. Sein Fuß glitt aus, schlitterte, fand wieder Halt. Irgendetwas – ein Tier? ein Stein? – brach krachend durchs Gebüsch. Als er aufschaute, sah er, dass die Straße endete. Der Beton reichte nur bis zu der Kurve. Darüber hinaus gab es nur noch einen in brodelnde Milch verwandelten Feldweg.
    Er blieb am Rand der Betondecke stehen. Der Regen prasselte auf seine Kopfhaut. Er dachte wieder an Emine, die Erinnerung drängte sich auf. Er spürte sie so deutlich, als wäre sie anwesend. Emine hätte das hier nicht getan. Sie war immer die Vernünftige gewesen.
    Er schüttelte den Kopf und verspritzte Regenwasser. Weitergehen war unmöglich. Er würde denselben Weg wieder zurückgehen müssen. Er schaute den Hügel hinab, verzog das Gesicht und sah ein zurückgesetzt unter den Bäumen stehendes Gebäude.
    Die Tür war nicht verschlossen. Er ging blindlings hinein, ohne an seine Sicherheit im Dunkeln zu denken. Es stank nach Weihrauch. Nach einer Weile erkannte er einen Altar. Eine Reihe nicht angezündeter Lampen, das Olivenöl dafür geronnen in Plastikflaschen. Zündhölzer. Seine Hände zitterten, als er die Schachtel aufschob. Er zerbrach drei Hölzchen, bevor er eine Lampe zum Brennen brachte. Die ganze Kapelle flackerte. An der Wand lenkte ein Supermann seinen Feuerwagen. Unter ihm fielen Männer auf den unbeackerten Feldern auf die Knie.
    Er rückte sich einen Stuhl zurecht und setzte sich. Irgendwo klapperte etwas, und er fragte sich, ob es Ratten seien, dann merkte er, dass es seine Zähne waren. Seine Gedanken bewegten sich träge. Er überlegte, ob er Gott danken sollte. Er überlegte, ob er hätte

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