Verborgen
dem Historiker einen festeren Untergrund, aber Sparta hat sich den Archäologen immer widersetzt. Es ist kein Athen mit seinem Parthenon und seinem Turm der Winde, seinen Philosophien und Historien. Es ist kein Mykene mit seinem Menschenantlitz aus Gold. In Lakonien sind die Erträge von Ausgrabungen selten und kryptisch. Herzlich wenig wurde im Lauf der Jahrhunderte ans Tageslicht geholt, obwohl es nie an jenen mangelte, die diese glorreiche Bergung anstrebten.
Ein halbes Jahrtausend nach seinem Verfall und Untergang kamen die Römer auf der Suche nach Sparta ins Land. Sie segelten regelmäßig nach Gythion, kauften als Andenken Purpurschnecken und Porphyr und ritten die dreißig Kilometer nach Norden zur Stadt des Leonidas. Sie fanden dort etwas, wenn auch nicht ganz das, wonach sie suchten. Sparta stand noch, aber es hatte sein Herz verloren. Seiner Kraft war es schon vor Ewigkeiten beraubt worden. Ohne Stärke hatte sein Volk keine Würde mehr.
In einem Heiligtum bauten die Spartaner ein Theater für ihre kaiserlichen Herren. Zu ihrer Unterhaltung wurden halbwüchsige Jungen, sogenannte Epheben, am Altar der Artemis Orthia zu Tode gepeitscht. Hinterher sahen sich die Besucher vielleicht noch das Schwanenei an, aus dem die schöne Helena geboren wurde. Das einzige Sparta, das die Römer fanden, war ein Amüsement, eine Assemblage von Jahrmarktsbuden, von grausamen und lächerlichen Vorführungen, ein aus alten Kadavern zusammengestoppeltes mythisches Tier: eine Parodie für Touristen, denen das gleichgültig war oder die es nicht besser wussten.
Cyriacus von Ancona besuchte Sparta im fünfzehnten Jahrhundert. Der Kaufmann, Diplomat und Gelehrte kam, um das Volk zu beweinen, das die Perser zurückgeschlagen hatte. Was er vorfand, waren Felder und Ruinenfelder – das ganze Tal war voll davon – sowie gefallene und versagende Mächte. Griechenland war damals ein abnehmender Mond im sterbenden System Konstantinopels, Sparta eine längst erlahmte Kraft, tausend Jahre zuvor geplündert vom westgotischen König Alarich. Die Osmanen sammelten sich auf den Spuren der Perser. Cyriacus’ Sparta war eine vergessene Kleinstadt weit draußen im Fernen Osten der Christenheit, sich – selbst kaum christlich – gegen den Islam stemmend, regiert vom Despoten von Morea von den hohen Mauern Mistras herab.
Cyriacus hielt Ausschau nach dem, was verloren war. Noch weitere vier Jahrhunderte sollten vergehen, bis irgendjemand danach zu graben begann. Zum Glück wurde nur wenig gefunden. Zu der Zeit bestand kaum ein Unterschied zwischen dem Archäologen und seinen habgierigeren Gegenstücken: dem Antiquitätensammler, dem Schatzsucher, dem Grabräuber. In Therapne gab es Ausgrabungen in den Jahren 1833 und 1841 und dann wieder um die Jahrhundertwende. Schliemann von Troja und Tsountas von Mykene kamen und gingen, schnüffelten nach homerischem Gold und fanden nichts, was ihnen zugesagt hätte. Die Amerikaner versuchten ihr Glück, kehrten aber nach Athen zurück, ohne sich mit Ruhm bekleckert zu haben.
Im Jahr 1904 schwärmte die British School über ganz Lakonien aus. Auf Fotos sitzen die Archäologen in Filzhüten und Reitstiefeln, die Arme verschränkt oder in die Hüfte gestemmt, die Pfeife in der Visage, und sehen zu, wie ihre Kulis mit der Gier von Ölprospektoren Gräben ausheben. Sie erreichten 1906 Sparta und gruben in dem Jahr das Heiligtum der Athene im Chalkioikos aus.
Den Legenden zufolge erbaute Odysseus den Chalkioikos, auch Bronzehaus genannt, zur Feier der Heimführung seiner spartanischen Braut Penelope. Auch Herodot erzählt eine hübsche Geschichte von dem Haus. Ein spartanischer Regent, den man des Verrats anklagte, suchte dort Zuflucht vor Repressalien. Nach der Tradition durfte niemand mit Gewalt aus einem heiligen Gebäude entfernt werden. Doch die Spartaner waren ein geduldiges Volk. Die Ältesten entschieden, der Regent solle eingemauert werden. Kurz vor seinem Tod wurde er herausgeholt, um der Göttin den Anblick seines Verfalls zu ersparen.
Die Geschichten, so zeigte sich, waren reichlicher als die archäologischen Funde. Im Bronzehaus fand sich nur wenig Bronze. Eine solche Ausgrabung musste deshalb jetzt eine kleine Sensation sein. Heutzutage kann man dank Thermolumineszenz auch die kleinste Keramikscherbe präzise datieren, die Herkunft darin befindlicher Weinreste bestimmen, anhaftende Fette untersuchen, die Biofakten von Pollen analysieren, den Stil interpretieren, das angewandte Brennverfahren
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