Verborgen
sein.
Er sah, dass auch Missy keine von ihnen war und dass sie es im Gegensatz zu ihm nicht merkte. Wir , das waren Eberhard und Eleschen, Max, Natsuko und Jason. Missy war anders; zu eifrig, zu offenherzig. Sie kämpfte mit ihrem unermüdlichen Enthusiasmus gegen die Klüngelwirtschaft an und war verblüfft, wenn sie eine Abfuhr bekam. Während Eberhard der professoralste unter ihnen war, hätte seine Chefin alles getan, um wieder Studentin sein zu können, eine unter vielen. Er überlegte, ob er es ihr erklären konnte, das Anderssein der anderen, war sich aber nicht sicher, ob er den Mut haben würde, eine so bittere Wahrheit auszusprechen. Was er intuitiv verstand, war für sie eine unsichtbare Kraft. Er sah zu, wie sie mit den Mädchen ihr Mittagessen verspeiste und sich mit irritierender Bedürftigkeit zu ihnen beugte, so ratlos wie ein gegen eine Fensterscheibe stoßender Nachtfalter.
In der ersten Woche änderte sich daran nichts. Nach den sechs Tagen war er den anderen nicht näher als nach dem ersten Tag. Willkommen , hatte Jason gesagt, aber dabei hatte er gezwinkert, wie Ben sich erinnerte, und im Nachhinein wurde ihm jetzt klar, dass es nicht nur einfach ein Scherz gewesen war, sondern ein Scherz auf seine Kosten.
Doch trotz alledem, trotz Eberhard, trotz Uns , war er glücklich. Er war nicht mit der Erwartung nach Sparta gekommen, dass Sauer erfreut sein würde, ihn zu sehen. Er war um der Stadt selbst willen gekommen, und Sparta war ihm eine Freude. Die vielen Wochen in Athen war er immer noch auf der Durchreise gewesen. Er war wie die Lichtgeschwindigkeit gewesen, ohne Bezug zu irgendetwas. Nicht dass Sparta ihm mehr versprochen hätte. Nicht dass es eine Heimkehr gewesen wäre. Es war gar nicht wie Heimkommen. Es war eher so, als würde ihm klar, dass er nie ein Zuhause gehabt hatte. Es war, als hätte er seinen Platz in der Welt gefunden.
Er trug immer noch seinen Ehering bei sich. Immer wieder wollte er ihn liegen lassen, aber jedes Mal stellte er hinterher fest, dass er ihn im Hinausgehen unbewusst doch wieder eingesteckt hatte. Manchmal ertappte er sich dabei, wie er ihn sich im Dunkel seiner Tasche durch die Finger laufen ließ – wie ein Zaubertrick, den er gekauft, aber nie geprobt hatte. Oder er merkte, dass er daran herumfingerte wie die alten Männer auf dem Stadtplatz an ihren Perlenkettchen. Und einmal schaute er ruckartig von seiner Arbeit auf und stellte fest, dass er ihn wieder am Ringfinger hatte, so als hätte er sich entrollt und wäre aus eigenem Antrieb dorthin gekrochen.
Die Erinnerung an Emine schien durch die räumliche Entfernung allmählich zu verblassen. Wie ein Kind, das an einem Grind kratzt, zwang er sich dazu, sich an sie zu erinnern.
Der Tag, an dem er sie zum ersten Mal gesehen hatte: Es war in seinem ersten Monat in Oxford, im Herbsttrimester, und er war zu spät dran für eine Vorlesung. Emine kam mit Freunden die Beaumont Street herunter. Es war schönes Wetter, und sie lachte. Die fröhliche Truppe kam geschlossen auf ihn zu, so dass ihm kein Platz auf dem Bürgersteig blieb. Er wich in den Rinnstein aus, und in dem Moment schaute ihn Emine an.
Ihr Glanz: Das war das Erste, was ihn faszinierte. Ihr Glanz, wie der von frisch gespaltener Kohle. Wie ihre Augen aufleuchteten, als sie ihn wahrnahm. Ihr Kragen war mit schwarzem Pelz besetzt, der, wie er später erfuhr, ihr Haar zur Geltung bringen sollte. Und während sie ihn ansah, wie er so im Rinnstein stand, verstummte ihr Lachen. Verwandelte sich in ein Lächeln. Kein herzliches, aber ein hübsches Lächeln, dessen Freude verhüllt war. Als handle es sich um einen Vertrag, auf dessen Gültigkeit man sich noch nicht verlassen konnte.
Hast du einen anderen? , hatte er sie an dem Abend gefragt, als alles sich auflöste. Sie hatte ihm gesagt, dass sie gebeichtet habe und dass es, da ihr Zustand untragbar sei, das einzig Richtige sei, wenn sie sich trennten. Sie könne ihn nicht mehr lieben, sagte sie, mit solcher Geduld, als erklärte sie Nessie irgendetwas Selbstverständliches: als wäre es das Natürlichste auf der Welt.
Hast du einen anderen?
Sie hatte den Kopf geschüttelt. Nicht, als wollte sie es abstreiten, sondern so, als sei es einfach die falsche Frage. Es liegt nicht an mir , hatte sie gesagt. Es liegt an dir.
Und er hatte verstanden. Das Schlimmste war, dass sie es nicht hatte erklären müssen. Er hatte sich leidenschaftlich gewünscht, Foyt zu hassen, Foyt die Schuld am Scheitern seiner Ehe
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