Verborgen
machen. Wenn Sie nicht wollen, Sie können Nein sagen.«
»Nein, nein, finde ich gut. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass…«
»Dann wir gehen jetzt, okay?«
Der Transporter stand da wie immer, und anfangs unterschied sich der Morgen nur durch Giorgios’ Abwesenheit und den Sonnenschein vom Anfang eines Arbeitstages. Stück für Stück, während der Fahrt, fielen Ben noch andere Unterschiede auf. Chrystos war unbefangener und um einiges gesprächiger, ob wegen der Arbeitsfreiheit oder weil sein Bruder nicht dabei war, konnte er allerdings nicht erkennen. Auf dem Armaturenbrett standen zwei Plastikbecher mit Kaffee für sie beide, und neben Bens Sitz lagen die Sonntagszeitungen. Endlich war Wahltag. Die Titelseiten waren voll davon.
»Und wo ist Giorgios?«
»In der Kirche.«
»Sie gehen nicht?«
»Das ist nichts für mich«, sagte er. Dann zeigte er mit einer Kopfbewegung auf die Werkzeuge. »Ein Scherz.«
» Ach ja? Ich dachte…«
»Geschenke für Sie. Ein Scherz für die Frau.«
»Für wen? Sudoku?«, fragte er, und Chrystos runzelte die Stirn und lachte.
»Marina. Die Freundin meiner Schwester. Sehr stolz.«
»Kennen Sie auch Kreuzwort?«
Darüber musste er erneut lachen, ein seltsam jungenhaftes Kichern. »Kreuzwort ist ein guter Name für sie. Marinas Cousine. Noch schlimmer. Zum Glück für mich war es nur eine.«
»Sie kennen alle.«
»Natürlich. Hier kennt jeder jeden.«
Sie fuhren in westlicher Richtung, hatten den Stadtplatz mit seinen Bars und Kolonnaden bereits hinter sich gelassen. Die Kathedrale ragte auf, davor eine Menschenmenge im Sonntagsstaat. Chrystos machte das Radio an, womit er ihn erneut überraschte. Sprachsendungen, dann Musik, Pop, griechische Volksmusik. Chrystos summte unmelodiös mit.
»Heute ist ein wichtiger Tag.«
»Werden Sie zur Wahl gehen?«, fragte er, und Chrystos sah ihn an, ein rascher, scharfer Blick von der Seite, den er mit einem Achselzucken abtun konnte.
»Sie gehen nicht?«
»Manchmal.«
»Manchmal wählen Sie nicht?«
»Nicht alle wählen, wo ich herkomme. Dort ist es ziemlich egal. Es ändert sich nicht viel«, sagte er, seltsamerweise verlegen, obwohl das seine Überzeugung war, so weit er zurückdenken konnte. »Ich glaube nicht an sie.«
»An wen?«
»An die Politiker. So wie Sie nicht an Gott glauben.«
»Das ist nicht dasselbe.«
»Für mich schon. Ein Unglaube ist wie der andere.«
»Es ist nicht dasselbe. Und ich habe nicht gesagt, dass ich nicht glaube. Ich habe keinen Glauben. Auch das ist nicht dasselbe. «
Er war erleichtert, als Chrystos den Blick wieder ganz nach vorn richtete.
Der Stadtrand. Der Transporter holperte über Schlaglöcher. Auf Ziegelsteine aufgebockte Autos in kahlen Vorgärten. Beton und rote Geranien. Ein verrosteter Traktor unter Maulbeerbäumen. Glockenspiel von Hunden, die sie von einem Hunderevier zum anderen weiterreichten.
»Hier bei uns«, sagte Chrystos schließlich, »macht es einen Unterschied.«
»Vielleicht habt ihr hier bessere Politiker.«
»Ich wähle keine Politiker. Ich wähle eine Politik«, sagte Chrystos mit zusammengekniffenem Mund. Dann, versöhnlicher: »Schauen Sie. Da oben.«
Er schaute durch die verschmutzte Windschutzscheibe nach oben. Vor ihnen stieg das Gelände an, Orangenplantagen wurden durch weniger pastorale Olivenhaine abgelöst, dann kamen Felsen und Aleppokiefern und schließlich der Taygetos. Die westlichen Berge waren jetzt viel näher und auch dunkler, Kämme und Grate, die den klaren blauen Himmel verdeckten.
Er blinzelte. Eine große Stadt schmiegte sich in die Berge. Wo er zwischen den Bäumen hindurchsehen konnte, waren überall steil ansteigende gepflasterte Straßen, Festungen und Paläste, mit Flechten bewachsene Kuppeln und Pfeiler. Gärten, Türme, Tore und Hallen, alles an die Steilhänge geklebt, die Dächer baufällig, die Mauern von Kletterpflanzen gehalten, über jeder Reihe und Stufe eine noch höhere, so märchenhaft wie Luftschlösser.
Ihm wurde schwindelig davon. Er murmelte eine Lästerung, Herrgott oder Allmächtiger, und hörte an Chrystos’ Stimme, dass er lächelte.
»Hier finden ihn nur noch wenige.«
»Ist das Mystras?«
»Mystras, die Stadt der Byzantiner. Gefällt sie Ihnen?«
»Sie ist schön! Wunderschön…«
Sie parkten unten an den Mauern. Unter ihnen flog ein Bussard über die Kiefern davon. Chrystos kramte in dem Transporter und reichte ihm Plastiktüten voller Lebensmittel und Wasserflaschen.
Sie waren bereits hoch
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