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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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zu geben, aber er hatte von Anfang an gewusst, dass der andere Mann nur ein Symptom war. Die Ursache war er selbst gewesen. Nach dieser Nacht hatte er sie nicht mehr nach einem Grund gefragt. Viel besser, wenn sie ihn im Dunkeln ließ, wo es noch Alternativen gab.
     
Zehn Stunden pro Tag grub er Löcher. Er wusch Scherben, schleppte Geräte und siebte auch Erde, aber die meiste Zeit waren es die Löcher: Alles lief auf die Löcher hinaus. Er machte Löcher mit Grabenspaten und Schlangenbohrern, Bohrstöcken und Schaufeln. Er machte Löcher mit Hacken, Kellen und feinen Pinseln, legte langsam Knochen und Vasen frei, entfernte die Erde Krümel für Krümel, wie ein Kind, das in einem Märchen die erste von drei unmöglichen Aufgaben gestellt bekommt.
    Er fing an, von Therapne zu träumen. Die Sonne kroch in die Gruben. Die Luft war voller Staub, die Wände bröselten. Chrystos und Giorgios gruben neben ihm.
    In dem Traum gruben sie, bis es dunkel wurde, dann gruben sie weiter, bis ihre Schaufeln zerbrachen, und von den Wänden tröpfelte jetzt etwas Feuchtes, Warmes herab. Einer nach dem andern – Ben immer als Letzter, er sah es zuerst immer in ihren Gesichtern – begriffen sie, dass das Feuchte Blut war, ganze Ströme, die aus den Steinen gequetscht wurden. Und selbst dann gruben sie immer noch weiter, nicht angstvoll, sondern triumphierend, bearbeiteten die zerklüftete Erde mit ihren zerbrochenen Werkzeugen, mit bloßen Händen sogar, mit Fingern und Zähnen.
     
Er rief Emine in dieser ersten Woche dreimal an, in ihrer Wohnung, weil er nicht an Foyt geraten wollte. Zweimal schaltete sich der Anrufbeantworter rasch ein, wie er es immer tat, wenn viele andere Anrufe darauf warteten, abgehört zu werden. Emine hatte sich immer davor gedrückt, die neuen Nachrichten abzuhören, hatte diese lästige Pflicht ihm überlassen. Auch die Ansage war noch dieselbe, so dass er seine Monologe nicht nur für Emine, sondern auch für sein altes Selbst hinterließ.
    Am Samstag nahm sie dann ab. Er kam verspätet vom Grabungsplatz zurück und war zu müde, um in ein Restaurant zu gehen. Stattdessen kaufte er sich etwas in dem durchgehend geöffneten Laden an der Ecke (die alte Dame, die ihn führte, war eine Kettenraucherin mit kajalschwarzen Augen, die ihn immer so anschaute, als sei ihr eben ein hervorragender unanständiger Witz eingefallen), aß in seinem Zimmer bei laufendem Fernseher, der Krieg gegen den Terrorismus flimmerte in weiter Ferne. Eine Frau in einem orangefarbenen Overall, drei Gestalten stehen um sie herum, sie scheint keine Angst zu haben, sondern ist nur betrübt, als sei sie gerade aufgewacht und hätte nicht etwa festgestellt, dass sie gleich sterben wird, sondern nur, dass sie verschlafen und den Besuch einer guten Freundin verpasst hat; und eine schlankere Frau, eine Politikerin oder Generalin in Zivil, verliest in einem Raum voller Blitzlichter mit fester Stimme eine Erklärung.
    … Alle Menschen in allen Ländern sollten sich des Risikos terroristischer Angriffe an öffentlichen Plätzen überall auf der Welt bewusst sein. Seien Sie wachsam, treffen Sie vernünftige Vorkehrungen. Gehen Sie nicht davon aus, dass …
    Er duschte und schlief dabei fast im Stehen ein. Er lag schon im Bett, hatte das Licht und den Fernseher ausgemacht, als er auf die Idee kam, noch in Oxford anzurufen.
    Er wählte im Dunkeln. Emine nahm beim ersten Klingeln ab.
    »Hallo?«
    Ihre Stimme war kehlig, melodiös, als hätte sie gerade gelacht. Er war auf der Stelle eifersüchtig.
    »Hallo … wer ist da?«
    »Ich. Ist Foyt bei dir?«
    » Ben? Mein Gott, wo bist du denn? Warum hast du nicht angerufen?«
    »Tu ich doch gerade.«
    »Bleib dran.«
    Gedämpfte Stimmen, männliche und weibliche. Er schloss die Augen, hatte schon genug von ihr, legte aber nicht auf.
    »Bist du noch da, Ben?«
    »Ist das er?«
    »Nein.«
    »Also jemand anderer.«
    »Sei nicht blöd, das ist bloß ein Freund. Wo steckst du denn? Du hast nicht angerufen!«
    »Du hast vergessen, die Nachrichten abzuhören. Außerdem hab ich dir auch auf deinen Brief geantwortet. Ich dachte, du hättest die Post inzwischen bekommen… Geht’s dir gut? Wie geht’s Ness?«
    Ein Seufzer, zugleich ärgerlich und erleichtert, durch die Übertragung verzerrt.
    »Es geht ihr besser.«
    »Wieso besser?«
    »Ach, es war weiter nichts. Nur die Erkältung. Das hab ich dir doch erzählt. Sie fragt ständig nach dir…«
    Gut , dachte er. Oder fühlte er. Seine Dankbarkeit war mehr

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