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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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hinweg. Es beleuchtete die Seite vor ihm und ließ ihn im harten blauen Schatten zurück.
    Kinder spielten auf dem Platz, ihre Mütter behielten sie aus Teehäusern und Cafés im Auge. Eine alte Frau setzte sich an den Brunnen und zählte die Hyazinthenzwiebeln, die sie aus einer grünen in eine rote Tüte legte. Irgendwann fiel ihm auf, dass keine jungen Männer da waren. Es war, als seien sie alle in den Krieg gezogen.
    Der Kellner kam und räumte seine Tasse ab. Er bestellte noch einen, obwohl er keinen wollte. Rings um den Platz gingen die Lichter an.
    Er blieb immer noch sitzen. Erst schrieb er, dann schaute er nur. Schaute schließlich nur noch, ohne etwas zu sehen. Den Kugelschreiber locker in der Hand, seine Hände und sein Gesicht bewegungslos wie die der alten Männer, die drinnen saßen, jeder Einzelne unsagbar allein.
     

VIII
     
    Aufzeichnungen für eine Doktorarbeit
     
    Was gibt es anderes als die Vergangenheit? Was gibt es sonst, woran man glauben könnte? Es ist uns nicht beschieden, an die Zukunft zu glauben. Wir misstrauen ihr. Wir lassen uns nicht überzeugen. Wir glauben nur an das, was wir mit eigenen Augen sehen. Glauben heißt sehen, aber die Zukunft sehen wir nie, also ist und bleibt sie unglaublich. Wir sind zu kurzsichtig. Auch in unseren dunkelsten Momenten glauben wir im tiefsten Herzen nicht, dass wir uns jemals ändern werden. Wir machen blindlings weiter. Wir glauben nur an Damals und Jetzt.
    Dann haben wir immerhin etwas. Zumindest glauben wir an die Vergangenheit.
     
Die Spartaner legten großen Wert auf den Glauben. Ihre zahllosen furchtbaren Götter waren wie die alten Gottheiten des Gilgamesch – die sich dreitausend Jahre zuvor wie Fliegen über dem Opferfleisch versammelt hatten –, aber auch ihre Lebensweise verlangte Treue. Die Spartaner glaubten so inbrünstig an Sparta wie an irgendeinen Gott. Ihr Staat war ein Amerika, ein Traum von Vollkommenheit. Sie lebten ihr Leben im Schatten ihrer Glaubensvorstellungen und sahen die Früchte dieser Handlungsweise in einer Generation nach der anderen. Die Macht ihrer Stadt war der Beweis, dass ihr Glaube richtig platziert war. Ein halbes Jahrtausend lang und länger war das hohle Reich vor der Welt sicher, stärker als die Welt, die Stadt ohne Mauern unangetastet, die rot gewandeten Phalangen unübertroffen.
    Und dann war ihre Zeit zu Ende. Die größten Krieger der Welt wurden geschlagen. Der Feind trampelte sie in den Morast ihres eigenen Fleisches. Lakedaimonien war verloren. Die Wiesen am Eurotas brannten. Die starken Frauen von Sparta rannten kreischend auf die Straßen. Es muss ihnen fast so vorgekommen sein, als wäre der Taygetos niedergerissen worden. Die Götter, die sie liebten, hatten sie im Stich gelassen. Der spartanische Traum war zunichte gemacht worden. Und worauf setzten sie von da an ihren Glauben?
     
Die Hellenen nannten zwei Städte Theben. Die eine war eine Stadt der Ägypter, No-Amon, Stadt des Ammon , dessen Name Der Verborgene bedeutet und den die Griechen als Zeus verehrten. Das andere Theben lag im Herzen von Griechenland, nördlich von Athen, vor den Gipfeln des Kithairon.
    Das ägyptische Theben existiert noch immer. Karnak und Luxor sind seine Namen. Eine halbe Million Menschen leben inmitten seiner unzähligen Denkmäler. Von dem anderen Theben jedoch ist fast nichts mehr übrig. Wie das Sparta, das es zerstört hat, ist es zu einem Ort der Abwesenheit geworden. Es ist nicht vergessen, aber wir kennen es auch nur aus Legende, Mythos und Geschichte. Wie Sparta war es eine Stadt, deren Stärken im Kriegshandwerk lagen, und durch Kriege stiegen und fielen seine Geschicke.
    Theben war andernorts in Griechenland nicht eben beliebt. Die Thebaner galten als grausame, gewalttätige Zeitgenossen. Nachdem Xerxes an den Thermopylen durchgebrochen war, gehörten die Thebaner zu den wenigen, die sich ihm unterwarfen, und nachdem sie dies getan hatten, kämpften sie in der Entscheidungsschlacht bei Plataiai unermüdlich gegen die Griechen. Als nach den Perserkriegen Athen und Sparta einander bekriegten, schlug Theben sich auf die Seite der Lakedaimonier, doch es blieb ein Dorn im Fleisch beider Mächte – zu bedeutend, um ignoriert zu werden, ungemütlich nahe an Athen und zu weit vom Reich der Spartaner entfernt, als dass man ihm je hätte rückhaltlos vertrauen können.
    Acht Jahrzehnte nach Plataiai wurde Athen erobert und geschleift. Sparta hatte abermals im Krieg obsiegt. Theben sah seinen Feind geschlagen,

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