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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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schlimm?«
    »Manche sagen, sie sind grob unhöflich. Sie machen sich keine Freunde. Sie halten zu eng zusammen.«
    »Was ist daran so seltsam?«
    »Sie essen zusammen, sie trinken zusammen. Sie gehen nicht in Hotels. Sie suchen sich Zimmer in der alten Stadt, Gegenden, die nicht für Besucher gedacht sind. Sie gehen zusammen auf die Jagd.«
    »Sie gehen auf die Jagd?«
    »Eberhard und der stille Junge, Max, die wissen, was sie tun. Sie kaufen in den Jagdgeschäften. Sie gehen in den Bergen auf Hasenjagd. Nicht nur die Jungs. Auch die Mädchen. Es ist die falsche Zeit für Hasen, aber das ist kein Problem. Was sie machen, ist ihre Sache. Ein Freund von meinem Bruder hat sie gesehen. Die Leute finden, dass es nicht recht ist. Nicht für Frauen. Nicht für Ausländer. Die Leute finden, sie sollten das nicht tun. Noch etwas zu essen?«
    Sie räumten die letzten Reste weg, Steine und Schalen, das alte Zeitungspapier, Schlagzeilen aus Estia und Stochos . Chrystos stützte sich mit den Händen an der verwitterten Mauer ab, als er aufstand, und knurrte über seine steifen Gelenke.
    »Also, woran glauben Sie, Ben?«
    »Ich. Ach, nicht an viel.«
    »Nicht an Gott? Nicht an Gott, nicht an die Politik. An irgendetwas sollten Sie aber glauben.«
    »Warum?«
    »Andernfalls ist es zu schwer. Vielleicht glauben Sie ja an sich selbst. Haben Zutrauen zu sich selbst.«
    »Dass ich was tun kann?«, fragte er und lachte. Die Echos verzerrten seine Stimme seltsam.
    »Dass Sie auf Ihrem Gebiet gute Arbeit leisten. In der Archäologie. Um zu finden, was von der Vergangenheit übrig ist. Oder dass Sie ein gutes Leben führen.«
    »Ich führe bis jetzt kein Leben, an das irgendjemand glauben würde.«
    »Das ist jammerschade. Wenn man darüber nachdenkt. Woran glauben Sie denn dann?«
    Es dauerte ein Weilchen, bis ihm klar wurde, dass sie beide noch auf eine Antwort warteten. Eine jämmerliche Panik breitete sich in ihm aus, erst nur als ein kleines Knäuel, wie lose Rauchfäden. Er zeigte mit einer Kopfbewegung auf Mystras hinunter. »Ich glaube an das da.«
    »An das? Das sind bloß Steine«, sagte Chrystos und nahm die Pfeife aus dem Mund. »Alte Steine.«
    »Nein. Das ist Geschichte.«
    »Sie glauben nur an die Geschichte?«
    »Das ist jedenfalls etwas«, sagte er. »Was ist dagegen zu sagen?« Aber Chrystos zuckte nur wieder die Achseln, seine Miene erst überrascht, dann ausdruckslos. Er spuckte trocken aus und wandte sich ab.
    »Wir fahren besser zurück.«
    »Jetzt schon?«
    »Ich muss wählen, und Sie brauchen doch sicher Zeit für sich allein.«
    Sie packten alles ein und gingen vorsichtig durch die kaputten Straßen hinab. Auf der Heimfahrt wurde nichts mehr geredet. Chrystos setzte ihn vor dem Hotel ab.
    »Danke für die Besichtigungsfahrt.«
    »Es hat Ihnen gefallen?«
    »Und wie.«
    »Bitte tun Sie mir einen Gefallen.«
    »Was denn?«
    »Halten Sie sich von den anderen fern.«
    »Das wird mir nicht schwerfallen, die sind ja nicht gerade…«
    »Trotzdem.«
    »Also gut. Aber ich verstehe nicht…«
    »Nein, aber ich sehe, dass Sie leicht zu überraschen sind.«
    Er stand da und sah zu, wie der Transporter davonfuhr. Ihm war unbehaglich, er hatte das Gefühl, dass etwas nicht zu Ende gebracht worden war. Zum ersten Mal nach dieser ganzen Woche fühlte er sich allein. Erst als er die Hoteltreppe hinaufging, fiel ihm ein, dass er seine Geschenke vergessen hatte. Er drehte sich um und hob die Hand, aber Chrystos war schon verschwunden.
     
Er hatte den ganzen Nachmittag für sich. Anfangs empfand er es als Luxus. Er holte seine Aufzeichnungen aus seinem Zimmer und ging wieder hinaus. Eine Zeit lang streifte er umher und sah die Stadt so, wie er sie die ganze Woche nicht gesehen hatte – die Läden geschlossen, aber überall viele Menschen auf der Straße. Er ging am Museum vorbei, in der Hoffnung, dort Bücher zu finden – eine Art Bibliothek –, rechnete aber damit, dass es geschlossen war, und fand sich bestätigt.
    Um drei Uhr saß er dann in einem Kafeneion auf dem Stadtplatz, einem schmuddeligen Etablissement voller griesgrämiger alter Männer in ausgebeulten Anzügen, wie Trauernde zweiter Klasse bei einer Beerdigung, Bekannte des Verstorbenen; keiner sprach ein Wort, und der Kellner stellte Sonnenschirme und Kunstlederstühle auf, um das Beste aus der kraftlosen Märzsonne zu machen.
    Er bestellte Kaffee, mittelsüß, blieb eine Stunde sitzen und wich dem Blick des Kellners aus. Das Licht stieg in die Höhe und über ihn

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