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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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Giorgios.
    »Mein fauler Bruder dankt Ihnen.«
    »Warum mir?«
    »Er denkt, weil Sie krank geworden sind, kann er den ganzen Vormittag schlafen.«
    »Ich war nicht krank.«
    »Krank oder verrückt, im Regen zu gehen. Wie auch immer, die Leiterin macht sich Sorgen.«
    Er lehnte sich zurück und versuchte, seine Gereiztheit zu verbergen. Im Mund hatte er noch den Geschmack vom Abendessen; billiges Fleisch, billiger Wein. Sie fuhren los. Er hob die Stimme, um das Kratzen der Scheibenwischer und das Trommeln des Regens zu übertönen. »Wir fahren also da rauf? Wozu, wenn es keine Arbeit gibt?«
    »Nicht da rauf. Keine Arbeit für uns. Für den kranken Jungen hat die Leiterin andere Aufgaben.«
    Sie bogen in die Lykourgou ein. Vor ihnen, Richtung Mystras, die Vorberge in Tusche und Aquarell. Gleich hinter dem Kathedralenplatz bogen sie rechts ab und hielten in einer Straße mit kleinen Läden. Chrystos zeigte auf einen. Mavrakis Bäckerei & Importwaren .
    »Hier.«
    »Die Leiterin will, dass ich backe?«
    »Sehr witzig. Erster Stock. Gehen Sie an die Seitentür, da warten die auf Sie.«
    »Also dann bis morgen?«
    »Ja, sicher. Hier, Sie haben Ihre Andenken vergessen.«
    Die HellaSpar - Tüte. Das martialische Klicken der Werkzeuge. Er gab Chrystos die Hand und stieg aus, duckte sich unter der Markise, während Chrystos losfuhr, sein Gruß verschwommen hinter der gesprenkelten Scheibe.
    Die Seitentür war hinter der Markise. Er rannte geduckt durch einen Regenvorhang und drückte auf den Klingelknopf. Zweimal rief er seinen Namen in das unverständliche Krächzen der Sprechanlage. Als die Tür aufging, war er bereits nass bis auf die Haut. Zögerlich machte er ein paar Schritte in den unbeleuchteten Hausflur. Eine schmale Treppe führte in die Dunkelheit empor, die blanken Bretter knarrten unter seinen Füßen. Die Tür oben stand offen, ein Lichtgamma war zu sehen. Er stieß sie auf und ging hinein.
    Ein Resopaltisch von der doppelten Länge eines Körpers. Eine Stereoanlage spielte Radiohead für einen Totenkopf. Tupperschüsseln, riesige wannenförmige Behälter und Kindergarten-Brotdosen, die Sachen darin so verschwommen wie Chrystos’ Hand hinter der nassen Scheibe. Eine Karte vom antiken Kernland Lakoniens, von Sparta bis hinunter nach Gythion. An einer Wand eine Luftaufnahme von Therapne, ihr gegenüber eine Harris-Matrix mit den Schichten der Ausgrabung in Diagrammform. Ein Kühlschrank und zwei Laptops summten vor sich hin. Die rechtmäßigen Bewohner des Raums – ein riesiger Fernseher, eine Couch, ein Kleiderständer, ein Couchtisch aus Rauchglas – gruppierten sich um die Tür am anderen Ende wie Asyl suchende Flüchtlinge. Eine Ouzo-Karaffe mit Blausternchen. Zwei Tabletts mit einem Bett aus Kieselgel, die Speerspitze auf dem einen mit Rost verkrustet, das Material auf dem anderen mit Grünspan überzogen. Eine Laserwaage, deren zwei rote Punkte auf einem fächerförmigen Schulterblatt leuchteten. Natsuko, über ein Mikroskop gebeugt, hob den Kopf und schaute ihm entgegen.
    Einen komischen Vogel hatte Missy sie genannt. Für Ben sah sie nicht komisch aus. Verängstigt vielleicht, aber tapfer. Auch selbstgerecht trotzig, wie eine Katze, die mit einem totgebissenen Beutetier erwischt wird. Ihre Augen waren wie die eines Rehs, tiefdunkel und tropfenförmig. Er versuchte sich vorzustellen, warum sie vor ihm Angst haben könnte, und ihm fiel die nicht überbrachte Nachricht ein. Sie hatte sich sicher gefragt, ob er darüber verärgert war, und dann, warum nicht.
    »Hi«, sagte er eine Spur zu forsch, so dass sie beide zusammenfuhren. Natsukos Stille überlagerte seine eigene so schwach wie ein Echo.
    »Hi.«
    »Missy schickt mich. Ärztliche Anordnung.«
    »Oh!«
    Er schloss die Tür. Sie war nicht dicht: Er hörte immer noch den Regen rauschen. »Also, was soll ich tun?«
    »Tja …«
    Er fragte sich, ob ihr Englisch sie im Stich ließ, obwohl er gehört hatte, wie sie sich mit den anderen auf Englisch und auf Griechisch unterhielt und über Jasons Scherze und Sticheleien lachte. Wenn es nicht daran lag, dass sie ihn falsch verstanden hatte, dann vielleicht daran, dass sie nicht wusste, was sie zu ihm sagen sollte.
    »Sind Sie allein hier?«, fragte er und bereute es sofort, als er sah, wie sie die Schultern hochzog. Sie schaute zu der Tür am anderen Ende und schüttelte den Kopf.
    »Aha. Na ja, also, dann will ich erst mal die Sachen …«
    Der Kleiderständer stand hinter ihr. Deshalb legte er seine Sachen

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