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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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in der Kabelecke bei den Computern ab. Ein weiteres Bild von Therapne hing dort an der Wand, eine magnetometrische Darstellung – die Zusammensetzung der Erde in Pfauenaugen aus gebranntem Orange und Indigo –, und er betrachtete es, während er seine nasse Jacke auszog und sich Mühe gab, das unangenehme Prickeln seiner Nackenhaare zu ignorieren.
    Wenn er sich umdrehte, würde sie bestimmt schon wieder weiterarbeiten und in die andere Welt des Mikroskops schauen. Aber er hatte das Gefühl, dass sie ihn beobachtete.
    »Sie sind nass geworden.«
    Es war das erste Mal, dass sie mehr als ein Wort zu ihm sagte. Er stellte sich vor, dass sie lächelte; dann drehte er sich zu ihr um und fragte sich, warum er das gedacht hatte. Ihre Miene war unverändert.
    »Ein bisschen, ja.«
    »Nein. Sehr.«
    »Na ja, es gießt, wissen Sie. Es regnet Katzen und Hunde«, fügte er hinzu, um ihr doch noch das Lächeln zu entlocken, und war enttäuscht, als sie ihn nur verständnislos ansah. »Egal. Nur so eine Redewendung. Jedenfalls, da bin ich. Sie wissen also nicht, was ich tun soll?«
    Sie schüttelte den Kopf und strich sich die Haare nach hinten. Sie hatte Handschuhe an, dünne weiße, wie ein Chirurg. Lange Zeit – vier Sekunden, fünf – sah sie ihn unverwandt an. Angst schien sie keine mehr zu haben, sie war nur neugierig. Vorsichtig spekulierend.
    Radiohead drängte sich zwischen sie.
     
    You’re so very special
I wish I was special
But I’m a creep
I’m a weirdo
What the hell am I doing here
When I don’t belong here? »
     
    Eleschen wird es wissen«, sagte sie schließlich. »Was wir mit Ihnen anfangen.«
    »Ist sie …?«
    »Sie wäscht sich die Haare.«
    »Ach, mhm.«
    »Sie hat Läuse.«
    »Sie hat was?«
    »Läuse. Die mögen sauberes Haar.«
    »Daran kann ich mich noch erinnern.«
    »Es ist ihr peinlich.«
    »Dann werde ich es nicht erwähnen.«
    »Nein, besser nicht.«
     
Ihr Gesicht war arglos, lieferte ihm keinen Anhaltspunkt dafür, ob sie ihn aufzog oder nicht. Wären sie alle drei miteinander befreundet gewesen, hätte sie sich vielleicht über Eleschen lustig gemacht. Nur waren sie das nicht. Schließlich war Natsuko ihm seit seiner Ankunft aus dem Weg gegangen, hatte im Lauf einer Woche kaum ein Wort mit ihm gesprochen. Auf keinen Fall hätte sie auf Eleschens Kosten mit ihm gescherzt.
    Läuse. Nessie hatte sie in dem letzten Jahr gehabt und jedes Mal schrecklich geweint, wenn er mit dem alten Nissenkamm seiner Mutter anrückte. Läuse waren eine Plage, die er mit Kindern verband, aber doch nicht mit Eleschen, und ganz sicher waren sie nichts, was Natsuko ihm verraten würde. Einfach so, nach so vielen Tagen Distanz.
    An dem Tisch standen Hocker, verkratzte Dinger aus Chrom und Kunstleder, die aussahen, als seien sie gebraucht aus einer Cocktailbar aus dem zwanzigsten Jahrhundert erstanden worden. Er setzte sich.
    »Und was machen Sie da?«
    Sie schaute auf das Mikroskop hinab, als sei sie erstaunt, es da zu sehen. »Ich suche auf Fäkalablagerungen nach Darmparasiten. «
    »Interessant.«
    »Nein. Das ist stinklangweilig«, sagte sie, und jetzt brach sich endlich das Lächeln Bahn, und ihre Augen verengten sich zu Halbmonden.
    Ihre Schneidezähne waren nicht ganz regelmäßig. An einer Schläfe, dicht vor dem Ohr, hatte sie eine Pockennarbe. Das fiel ihm nur auf, weil ihre Haut ansonsten makellos war. Er musste unwillkürlich an ihr morgendliches Schwimmtraining denken. An den im Schatten herumlungernden Jungen mit den angeklatschten Haaren. An den raschen Atemzug, den er manchmal gehört hatte, wenn sie zwischen zwei metronomisch zurückgelegten Bahnen gewendet hatte. An ihre mühelose, unerschöpfliche Kraft.
    Er beugte sich vor. »Stimmt das wirklich, das mit den Läusen? «
    »Ja.«
    »Sie machen sich nicht lustig über mich?«
    Sie schüttelte erneut den Kopf. Das Lächeln war verschwunden. Ihr Blick lag noch immer auf ihm, ohne Angst, aber taxierend.
    »Nein?«
    »Nein. Das heißt…«
    »Ja?«
    »Vielleicht ein bisschen.«
    Die Tür hinter ihr ging auf. Er lehnte sich zurück, zu rasch, als dass es zufällig wirken konnte, aber nicht so rasch, dass Eleschen es nicht bemerkt hätte. Sie trug ein Bustier und einen bronzefarbenen Hippierock, Gesicht und Schultern noch vom Bad gerötet, ein verschlissenes orangerotes Disney-Handtuch als Turban um das Haar gebunden. Ein Ohr schaute heraus, nach vorn gedrückt, elfenhaft. Sie sah so anders aus als in ihrer Archäologenkluft – mit

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