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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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aber es ist wahr. Ein winziger Plattenteller und eine Nadel. Die Platte hatte die Größe einer kleinen Münze und war richtig verrostet. Wir hatten zu Hause keinen Plattenspieler, aber ich kannte die Geräte. Wenn man an der Schnur zog, wurde das Babyweinen von der Platte abgespielt. Es war ein seltsamer Anblick. Mir war, als hätte ich sie aufgeschnitten und drinnen ein Herz gefunden. Und auf der Platte standen Zahlen und ein Name. Nämlich Anna . Und wisst ihr, ich hab lange Zeit wirklich geglaubt, dass das der Name von dem kleinen Mädchen war. Aber das war er natürlich nicht. Es war der Name der Puppe. Es war nur der Name, den die Hersteller der Puppe gegeben hatten.«
    Sie brach ab. In der folgenden Stille stand Natsuko auf, kniete sich hin und brachte von irgendwo unter dem Tisch eine Thermosflasche zum Vorschein.
    »Ich hab Tee.«
    »Japanischen?«, fragte Eleschen, und Natsuko nickte. »Für mich nicht.«
    »Der ist gesund.«
    »Ich sagte, ich möchte keinen.«
    Die beiden Mädchen wechselten einen Blick, beiderseits kühl und zugleich vertraut, aber darüber hinaus für ihn unverständlich.
    »Ben?«
    Er trank den Tee. Er spürte, dass sie ihn beide halb und halb beobachteten, sah es verschwommen am Rand seines Blickfelds.
    »Also«, sagte Eleschen, »sind Sie von da, Ben? Aus Oxford?«
    »London.«
    »Sie Glückspilz. Das muss aufregend sein.«
    »El ist aus Athen«, sagte Natsuko, und Eleschen lachte.
    »Nicht aus Athen! Aus Athens, Hicksville. In Amerika gibt es jede Menge davon, und auch Spartas. Aber ich komm eh nicht von da, ich hab nur dort studiert. Politikwissenschaften und Anthropologie, und nebenher ein bisschen Musik. Ich bin der reinste da Vinci. Ich weiß nicht, was ich mir gedacht habe. Ich wollte damals alles lernen, was ich finden konnte, ich griff einfach nach allem, was in Reichweite war. Das war, bevor ich wusste, was ich wirklich mit meinem Leben anfangen wollte. Aber wie kommen Sie hierher? Wenn Sie eigentlich in Oxford sind, meine ich.«
    »Ich hab eine Auszeit genommen. Einen Aufschub.«
    »Für wie lange?«
    »Kommt drauf an.«
    »Worauf?
    »Verschiedenes«, sagte er, unbeholfen ausweichend. Er redete tapfer weiter, um von dem Thema abzulenken, nicht, weil ihn das Gespräch wirklich interessiert hätte. »Und was ist mit Eberhard? «
    »Was soll mit ihm sein?«
    »Hat er auch Aufschub?«
    »Woher soll ich das wissen?«, erwiderte sie gereizt und nahm, ohne eine Antwort abzuwarten, den Knochen in die Hand, der vor ihr lag. »Laco nervt mich. Ich komm nicht hinter ihr Geheimnis. «
    »Wer ist Laco?«
    Sie zeigte mit dem Knochen auf den Totenschädel.
    »Ben, Laco, Laco, Ben. Es ist ein blöder Name, eigentlich ein Hundename, aber Jason hat ihn ausgesucht, und er ist ihr geblieben. Das ist das Skelett, das Max gefunden hat.« Er nahm ihr den Unterarmknochen aus der Hand und wog ihn auf beiden Handflächen, ein schlanker menschlicher Überrest. Er war erstaunlich schwer.
    »Fällt Ihnen nichts auf?«
    »Ich weiß nicht. Er ist ziemlich groß, im Vergleich zu dem Schädel …«
    Eleschen lächelte kühl, als hätte sie ihm eine Denkaufgabe gestellt, die er zu schnell gelöst hatte.
    »Warm. Probieren Sie’s noch mal.«
    Er betrachtete den Schädel genauer und sah nun, dass er nicht ganz normal proportioniert war. Die Zähne und der Unterkiefer waren normal und voll ausgewachsen. Nur das Schädeldach stimmte nicht. Die Kuppel, die einst das Gehirn beherbergt hatte, war zu schmal und zu niedrig. Das, so wurde ihm jetzt klar, musste bei ihm den Eindruck erweckt haben, dass die Elle vergleichsweise groß war.
    »Sie ist deformiert, stimmt’s?«
    »Richtig. Ihre Hirnschale ist zu klein. Die Ärmste. Das Gehirn muss natürlich ebenfalls zu klein gewesen sein. Sie ist aber immerhin so nahe am Durchschnitt, dass sie wahrscheinlich klargekommen ist. Sie muss bei der Geburt normal ausgesehen haben, sonst hätte man sie nicht am Leben gelassen. Raten Sie mal, warum.«
    Das Blau ihrer Augen war hart geworden, nicht wütend, aber wieder herausfordernd.
    »Was Genetisches, nehme ich an…«
    »Ha! Von wegen! Letzte Chance, Schlauberger.«
    Er zuckte die Achseln, gab sich bereitwillig geschlagen, und war froh, als Eleschen lächelte und die Härte augenblicklich verschwand.
    »Quecksilber. Sie ist voll davon. Die Deformierung bedeutet, dass sie dem Gift im Mutterleib ausgesetzt war, aber die Spuren zur Zeit ihres Todes sind so stark, dass sie in der Kindheit oder als Erwachsene erneut vergiftet

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