Verborgen
die Ränder eines anderen Lebens zurückzog, desjenigen, das er in Scherben zurückgelassen hatte. Er war nicht von zu Hause weg, um sie hier wiederzufinden.
Von Emine war nichts dabei gewesen.
Ein Hund bellte draußen, und der Aufpasser warf seine Stiefel in die Ecke und schlenderte hinaus, um einen Kuss bei der Besitzerin abzustauben. Der Hund sah aus wie Sylvia – Ben hatte die Rasse erkannt –, war aber nicht so temperamentvoll gewesen wie sie und hatte den Aufpasser zähnefletschend angeknurrt, obwohl seine Besitzerin ihn geschimpft hatte. In dem Moment hatte Ben an den Schakal gedacht, den Wildhund oben in den Bergen. Er war wieder an den Computer gegangen und hatte den wissenschaftlichen Namen eingegeben.
Canis aureus lebt und jagt nicht in Rudeln, sondern in Familien. Die Tiere gehen eine Art lebenslange »Ehe« ein. Wenn sie zu zweit jagen, können zwei von drei Versuchen zum Erfolg führen. Diese Rate fällt auf eins zu fünf, wenn ein Schakal allein jagt.
Der Schakal hat ein großes Repertoire an Heultönen. Sein charakteristisches an- und abschwellendes Wehklagen ist kilometerweit zu hören. Der Schakal heult bei Vollmond, an der gerissenen Beute und zusammen mit seiner Partnerin. Das gemeinsame Heulen kann als eine Art Verlobung angesehen werden …
Anfangs fand er nichts außer den nüchternen Angaben über Gewicht und Größe. Er surfte halbherzig weiter und versuchte, sich ein Bild von dem Tier zu machen. Nach einer Stunde lehnte er sich zurück und dachte, er würde es gut sein lassen, doch seine Hände kehrten zur Tastatur zurück, und seine Finger bewegten sich wie von allein.
Schakal: Ein Wort, das aus dem Persischen stammt. Das Tier spielt in vielen orientalischen Mythen eine bedeutende Rolle. Der ägyptische Anubis – Gott der Totenriten – wurde als ein Mann mit dem Kopf eines Goldschakals dargestellt. Die Verbindung beruht möglicherweise auf der verbürgten Angewohnheit des Schakals, Beutetiere zu vergraben, sowie auf der unverbürgten Verhaltensweise, auf Friedhöfen nach Aas zu suchen.
Um die lenkende und schützende Hand des Anubis zu erreichen, mussten die Toten zunächst einer Reihe furchterregender Ungeheuer gegenübertreten. Diese Wesen – Eisenauge, Eingeweidefresser, Funkelzahn und Knochenzermalmer – warteten am Eingang zur Unterwelt auf die jüngst verstorbenen Menschen. Um Anubis unversehrt zu erreichen, wurden die Toten angewiesen, Ich bin rein, ich bin rein, ich bin rein, ich bin rein zu skandieren.
Anubis führte die Seelen zu Osiris, dem Gott des Jenseits. Dort nahm der schakalköpfige Gott die Herzen der Verstorbenen entgegen und überwachte deren Abwägung. Indem er die Zunge von Osiris’ Waage überprüfte, wog Anubis jedes Herz in der Kanope gegen eine Feder auf. Die von Betrug beschwerten Herzen wurden aufgefressen. Nur die leichtesten Herzen durften in die unendlichen Binsengefilde Aarus eingehen…
Der Aufpasser war eingeschlafen, sein Kopf war auf seine Stiefel gesunken. Der Platz draußen war menschenleer. Der Grillimbiss hatte geschlossen. Der Himmel floss über von Sternen. Der Kopf der Schlange und die Jagdhunde. Die Nördliche Krone. Der kniende Mann. Er schlug seinen Jackenkragen hoch und ging mit schnellen Schritten nach Hause. Die Außenbeleuchtung des Hotels war noch an. Er stahl sich durch die leere Lobby und hinauf in sein Einzelzimmer.
Über die leere Straße am Fluss, an der Abzweigung nach Therapne vorbei. Aufwärts in die östlichen Berge; der Delux holperte über Schlaglöcher. Die Sonne kroch über einen Felsvorsprung, und dort bog Eberhard ab und fuhr langsam weiter durch wilden Salbei und Thymian. Vor einem Labyrinth von Wildblumen kam der Volvo zum Stillstand.
»Wo sind wir?«
»Nirgends. Die Bäume da sind Weiße Maulbeeren. Ich vermute, dass das mal eine Plantage war. Die Venezianer und die Osmanen hatten eine Vorliebe für Seide. Die Spartaner selbst werden hier natürlich gejagt haben. Die Jagd war ihnen wichtig. Fast so sakrosankt wie der Krieg. Jetzt wird das Land nur noch als Weide genutzt, wenn überhaupt.«
»Ich hab hier oben noch nie eine Menschenseele gesehen«, sagte Jason und schwang die Beine vom Rücksitz.
»Das ist Maxis-Land, wenn ich nicht irre, aber es steht zum Verkauf.«
»Wissen die, dass wir hier sind?«, fragte er, und Sauer lächelte ausschließlich mit den Augen.
»Ich hätte gedacht, du kannst das besser beantworten als ich. Jason, hilf ihm, ein Gewehr auszusuchen,
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