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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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Hand tauchte aus dem Nichts auf wie eine aus dem Ärmel gezauberte Münze, er schlug Mr. Marinescu blitzschnell auf den Hals und ins Gesicht, ein-, zwei-, dreimal – vier mal –, und der Eisverkäufer ging zu Boden, und der heiße Asphalt schwärzte seine Knie, und als Bens Vater sich zurückzog, johlte die Menge vor Begeisterung und irgendjemand machte Ahh , als handelte es sich um eine phantastische Vorstellung. Ein Jongleur, ein Zauberer, eine menschliche Kanonenkugel.
    Er war nie so stolz auf seinen Vater gewesen wie in diesem Moment. Er hatte sich das Gefühl tagelang bewahrt, es gehätschelt und mit sich herumgetragen.
    Jetzt spürte er es erneut. Das Gewehr im Kofferraum und dazu die beiden Vögel, Türkentauben, sagte Eberhard, wunderschöne Tiere, im Tod genauso schön wie im Leben, ihre grauen und rosa Porzellantöne und das blasse Blut in Zeitungspapier und Plastiktüten verpackt. Jason und Eberhard lächelten, während sie den Berg hinabfuhren, stritten sich darüber, wie die Vögel zubereitet werden sollten, sprachen über ihn, über seinen Kopf hinweg; offenbar waren sie beide stolz auf ihn, freuten sich mit ihm und für ihn. Und die Erinnerung an den Kitzel, die Erregung, den Rausch war noch genauso frisch wie das Blut und der Geruch des Gewehrs.
     
Er stand auf, um das Licht anzumachen.
    »Nein, nicht.«
    »Damit du siehst, was du tust.«
    »Ich kann auch so sehen, was ich tue.«
    »Und, was tust du?«
    Sie suchte hier und da Sachen zusammen, ging aus dem Bad ins Schlafzimmer, vom Schrank zum Bett. Ihr Haar fiel auf eine Seite wie ein Schatten, während sie seine Kleider, seine Bücher sortierte, den Laptop auf dem Schreibtisch musterte, den Rasierer auf dem Bord aus schwarzem Glas betrachtete. Es war Abend, und das Tageslicht war längst erloschen.
    »Natsuko?«, sagte er, und sie hielt in ihrem Kreisen inne und schaute auf ihn hinab, als sei sie überrascht, ihn hier sitzen zu sehen, auf seinem ungemachten Bett. »Was suchst du denn?«
    Sie zog die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen. »Du solltest dich nicht rasieren.«
    »Warum nicht?«
    »Weil du dich schneidest.«
    »Ach ja?«
    »Hier«, sagte sie, trat zu ihm, streckte die Hand aus und berührte seinen Hals, auf der einen Seite unter dem Ohr, und als er die kleine Stelle mit verkrustetem Blut dort spürte, hob er die Hand und hielt ihre fest.
    »Der Ring ist in meiner Jacke. Falls du den suchst.«
    »Nein«, sagte sie und trat zurück. »Du hast keine Fotos von ihr.« Von ihnen, dachte er, doch er sagte: »Hab nie eingesehen, wozu das gut sein soll.«
    »Wieso?«
    »Ich erinnere mich auch so an die beiden. Ich brauche keine Stützen.«
    »Fehlen sie dir?«
    »Jeden Tag.«
    »Es muss schön sein. Ein Kind zu haben.«
    »Ja.«
    »Junge oder Mädchen?«
    »Mädchen. Wie hat’s dich hierher verschlagen, Natsuko?«
    »Max.«
    »War er ein Freund von dir?«
    Sie machte sich nicht die Mühe, ihm zu antworten. Sie war wieder an seinem Schreibtisch, blätterte seine Aufzeichnungen für die Doktorarbeit durch (oder was jetzt daraus geworden war), offenbar darin vertieft, doch dann klappte sie das Notizbuch zu und driftete zum Fenster. Er sah zu, wie sie die Läden öffnete und hinausschaute, und dachte, wie verschieden sie sein konnte. Manchmal die boshafte Petze, dann wieder dieses stille, spiegeläugige Geschöpf. Unerreichbar.
    »Natsuko?«
    »Max hat keine Freunde. Vielleicht ist Eberhard sein Freund. Eberhard ist ein sehr bewundernswerter Mensch.«
    »Du, sag mal, darf ich dich was fragen? Als ich angekommen bin und keine Nachricht für mich da war … hast du das absichtlich gemacht?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Wir wollten dich nicht hierhaben.«
    »Aber, wieso …«
    »Da haben wir dich noch nicht gekannt.«
    »Aha.« Er stand auf, rieb sich die Hände an den Jeans. »Möchtest du Tee?«
    »Noch nicht. Was bedeutet dein Name?«
    »Nichts.«
    »Alle Namen bedeuten etwas.«
    »Ben ist einfach nur Ben. Jedenfalls weiß ich nicht, was der Name bedeutet. Mercer bedeutet so viel wie Kaufmann, wenn du’s unbedingt wissen willst. Tatsächlich ist das ein treffender Name für uns. Wir haben immer irgendwas verkauft. Meistens von einem Laster herunter.«
    »Und was verkaufst du, Ben Mercer?«
    »Was darf ’s denn sein?«
    »Mein Name bedeutet ›Süßer kleiner Sommer‹. Du kannst von hier aus den Pool sehen.«
    »Jeden Morgen.«
    Sie drehte sich um, als er sich ihr von hinten näherte. Einen Moment lang dachte er, sie würde in seine Arme

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