Verborgene Liebesglut
Hinterkopf. Er spürte noch, wie ihm eine warme Flüssigkeit über das Gesicht schoß, doch dann schwanden ihm die Sinne.
Im Schloß hatte man sich zurückgezogen. Stanton hatte den beiden Männern davon berichtet, daß er Geräusche im Garten vernommen hatte. Da man aber nichts Auffälliges bemerken konnte, fühlte man sich nicht genötigt, etwas zu unternehmen, und der Major war zu Bett gegangen.
Doch eine innere Stimme ließ Wilcox nicht ruhen. Gedankenvoll ging er in seinem Schreibkabinett auf und ab. Er wußte, daß er sich auf sein Personal verlassen konnte, aber man mußte die Situation gut im Auge behalten. Der scheinbar normale Tagesablauf auf Blenfield Park und auch die fortschreitende Genesung Philippes durften ihn nicht darüber hinwegtäuschen, daß in diesen Zeiten überall Gefahren lauerten.
Er wäre froh, wenn er den Jungen endlich in das Haus am Meer gebracht haben würde. Dort wäre er auf jeden Fall in Sicherheit, und er könnte zu sich zurückfinden. Das Meer, das herzhafte Essen und die beharrliche Pflege durch die alte Haushälterin würden ihn vollends auf die Beine bringen.
Philippe brauchte wieder geordnete Verhältnisse, ein Zuhause. Dieser Männerhaushalt und die nichtendende Aufregung auf Blenfield Park konnten nicht gut für ihn sein. Nach all den schrecklichen Ereignissen der Vergangenheit brauchte er Zuneigung und Wärme, und Wilcox spürte, daß er ihm das nicht bieten konnte.
Vielleicht sollte er Philippe doch in die Gesellschaft einführen, sobald sich die politische Situation entspannt hätte. Sicherlich wäre es kein Problem für den jungen Franzosen, zahlreiche Anhängerinnen für sich zu erwärmen. Zweifelsohne wäre er einer der hübschesten Junggesellen der Saison. ,Doch was für ein Humbug!' dachte Wilcox im selben Moment.
Philippe würde sich trotz seines zarten Alters selber entscheiden, welchen Weg er wählen würde. Alles andere lag in ferner Zukunft. In Krisensituationen mußte man eine Entscheidung nach der anderen treffen, und der erste Schritt war nun eindeutig: seinen Gast aus Blenfield Park zu entfernen. Wilcox war sich der Tatsache bewußt, daß sein junger Freund diese Maßnahme als Härte empfand, doch es mußte sein.
Entschlossen klappte Wilcox den Sekretär zu und zog sich einen Mantel über. Ein letzter Rundgang um das Schloß würde ihn beruhigen, und dann wollte er es Philippe und dem Major gleichtun und sich an diesem Abend früher als üblich zurückziehen.
Im Haus war es still geworden. Außer dem Ticken der alten Standuhr ließ sich kein Geräusch vernehmen. Eilig ging der Lord durch die Eingangshalle und zog die schwere Pforte hinter sich ins Schloß.
Es war ein schöner Abend, und gemütlich schlenderte er über den Kies der Auffahrt. An den Stallungen blieb er stehen und schaute in die flache Talsenke hinab, durch die sich das Flüßchen in der Mondnacht wie ein Silberband zog.
,Diese Nacht ist ein Moment der Stille und des Friedens', dachte er und bewegte sich langsam auf die Gartenseite des Schlosses zu. Auch hier war alles in Ordnung. Die Lorbeerbäume standen auf der Terrasse wie Soldaten in Reih und Glied.
Vorsichtshalber warf er einen Blick auf den Seitenflügel. Auch hier schien Ruhe eingekehrt zu sein, und die Lichter im Haus waren alle erloschen. Wilcox verschränkte die Arme und wollte gerade zurückgehen, als ihm etwas Helles auffiel, das an der Wand herabhing. Schnell lief er über den Rasen, und nach wenigen Augenblicken stand er vor den zusammengeknoteten Bettlaken, die von Philippes Fenster herabhingen.
„Er wird doch nicht ...", rief der Lord ärgerlich aus. Seine Gedanken schossen durcheinander, und er eilte ins Haus zurück. Die Tür zu Philippes Gemach war nicht verschlossen, und Wilcox brauchte nur wenige Momente, um sich darüber im klaren zu sein, daß der Raum tatsächlich leer war. Was war nun wieder passiert?
„Thomas, Thomas, öffne die Tür!" Unsanft wurde der Major durch die Rufe des Lords geweckt.
„Moment, Moment, verflucht, du alter Haudegen, nicht einmal die Ruhe der ersten Träume ist einem auf dieser Raubritterburg vergönnt." Gemütlich schlurfte er zur Tür und öffnete sie. „Was ist los, alter Kerl?" Erstaunt blickte er seinen eintretenden Freund an.
„Thomas", Wilcox holte Luft. „Philippe ist weg! Wir müssen ihn sofort suchen." Sprachlos ließ sich der Major auf die Bettkante fallen. „Hältst du mich zum Narren, oder muß ich dir glauben?"
„Es ist nicht der richtige Moment für deinen
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