Verborgene Liebesglut
die letzte Möglichkeit bieten, gemeinsam mit einigen eingeweihten Männern auszuschwärmen und Spuren zu verfolgen. Unterdessen könnte Major Livingston auf dem Schloß die Stellung halten und versuchen, die beiden Damen abzulenken.
Wilcox mußte sein Pferd etwas zügeln. Es wurde langsam dunkel, und für das Tier war es zu gefährlich, mit dieser Geschwindigkeit durch den Wald zu reiten, da auch hier Äste und Baumstümpfe den Weg versperrten. Wilcox fiel ein, daß es eine Abkürzung gab, mit der er sich ein wenig Zeit sparen konnte, denn so müßte er nicht durch Stepford reiten. Wenn er den kürzeren Weg nähme, würde er dort herauskommen, wo der alte, zugewachsene Weg zu der Ruine führte. Beeilte er sich, würde er gerade noch mit Hilfe des letzten Tageslichts den Weg finden.
Wie mochte es Philippe ergehen, fragte sich Wilcox. Würde er jetzt irgendwo in der Dunkelheit auf Rettung warten? Oder würde er es vielleicht schaffen, sich zu befreien? Trotz seiner gerade erst überwundenen Krankheit war er ein kräftiger Bursche, der mit einigen Handgriffen seine Peiniger bestimmt zu Boden strecken könnte. Wilcox' Herz schlug schneller bei der Vorstellung, daß der Freund seine Hilfe im Kampf brauchen könnte. Wäre der Feind doch nur sichtbar und hielte sich nicht versteckt. Mit jedem einzelnen hätte Wilcox es in diesem Augenblick aufgenommen, sei es mit Degen oder blanken Fäusten.
Für einen Moment blieb das Pferd stehen, weil sich der Weg gabelte. Wilcox überlegte, wo er sich nun befand, und kam zu dem Schluß, daß die Stelle, an der er die Straße zwischen Stepford und der Poststation sehen könnte, vermutlich nicht mehr weit war. Er stieg vom Pferd ab und führte es an den Zügeln weiter, da die Dunkelheit nun fast vollkommen hereingebrochen war. Ohne den Mond, der am klaren Abendhimmel stand, hätte er trotz seines ausgeprägten Orientierungssinns Schwierigkeiten gehabt, den weiteren Weg zu erkennen, doch schon nach ungefähr hundert Fuß hatte er den Punkt auf dem Hügelkamm erreicht, von dem aus er mühelos die Straße und das Dorf sehen konnte. Heimelig blinkten die Lichter Stepfords zu ihm herüber, und aus einigen Schornsteinen stiegen Rauchsäulen empor. Alles schien für Wilcox in dieser Mondnacht ein Bild des Friedens zu sein, wäre nicht jenes schreckliche Gefühl der Niederlage in ihm. Er blieb für einen Moment mit dem schnaubenden Pferd stehen und schaute auf das Dörfchen.
Aber was sah er da? Er kniff die Augen leicht zusammen. Aus den dunklen Rändern des Dorfes hatte sich ein Reiter gelöst, der über die Landstraße galoppierte und eine Staubwolke hinterließ, die man selbst in der Nacht gut sehen konnte. Erst beim genaueren Hinschauen konnte der Lord erkennen, daß es sich bei dem Reiter offensichtlich um eine Frau handelte, die im Damensitz und in einen schwarzen Umhang gehüllt durch die hereingebrochene Dunkelheit preschte. Ihre Haare waren durch einen kleinen Reithut bedeckt, aber die Körperhaltung kam ihm nur allzu bekannt vor. ,Es wird doch nicht ...?` dachte er. Doch er mußte diesen Satz nicht zu Ende denken. Die energische Stimme, mit der sie das Pferd antrieb, ließ ihm keinen Zweifel. Natürlich war sie es!
Sein Körper spannte sich an, als er seine Feindin weiter beobachtete. Aus irgendeinem Grund schien sie gehetzt, sie verlangte von ihrer Stute das Äußerste. Was wollte sie nur hier in der Dunkelheit? Es war gefährlich draußen auf der Landstraße. Gerade sie hätte wissen müssen, daß eine Dame niemals nach Einbruch der Dunkelheit das Schloß verließ, geschweige denn ohne Gefolge.
Was auch immer sie wollte, welch gravierendes Motiv hielt sie davon ab, nicht bis zum nächsten Tag zu warten? Plötzlich schnalzte sie, und die Stute fiel in einen langsamen Trab. Wilcox konnte sich nicht erklären, warum sie das Tempo drosselte, aber sie schien etwas zu suchen. Nach einer Weile lenkte sie das Pferd von der Straße über die Wiese.
Warum war ihm das nicht früher eingefallen? Aber natürlich! Sie benutzte die alte Abkürzung, um zu ihrem Gut zu gelangen! Doch auch das erklärte nicht, warum sie es so eilig hatte und nicht bis zum nächsten Tag warten konnte. Hielt sie Philippe vielleicht doch auf Morlay Hall gefangen? Für einen Augenblick überlegte er, ihr zu folgen. Aber dann sagte ihm seine Vernunft, daß er auf ihrem Gut keine Chance haben würde, gegen ihre Schergen anzukommen. Er mußte erst Verstärkung holen.
Wenn Lady Fairfax schon in der Dunkelheit auf ihr
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