Verborgene Liebesglut
nicht, du hättest sie auf dem Weg nach Morlay Hall gesehen, Wilcox?"
„Ja, ich bin auch erstaunt, daß sie schon nach Blenfield Park zurückgekehrt ist", erwiderte der Lord zögernd.
„Aber dann", begann der Major, „dann ist sie niemals in der kurzen Zeit bis zu ihrem Gut und wieder zurückgeritten."
Für einen kurzen Moment breitete sich Schweigen in dem halbdunklen Raum aus.
„Ich kann mir nicht erklären, wo sie sonst gewesen sein kann." Der Lord schien beunruhigt, da somit auch seine Theorie, daß man Philippe auf Morlay Hall gefangenhielt, widerlegt wurde.
„Denk ganz scharf nach, Wilcox. Du kennst diese Ecke am besten. Wo könnte sie sonst noch gewesen sein?"
„Es gibt dort nichts", antwortete der Lord bestimmt. „Nichts, außer dem dunklen Wald und der zugewachsenen Abkürzung." In diesem Moment durchlief es ihn eiskalt ,,... und der Ruine. Sie war auf der Ruine!" Der Lord sprang auf. „Ich glaube, ich habe die Lösung, Thomas!" Unruhig begann er auf und ab zu laufen. „Laß mich nachdenken. In der kurzen Zeit könnte sie es gut schaffen, dort etwas zu erledigen und wieder zurückzukehren. Was hältst du davon?"
Der Major warf ihm einen bestätigenden Blick zu. „Welche Dame reitet nachts in den Wald und klettert in einer alten Gespensterruine herum? Wir hätten früher darauf kommen können, daß sie solch geheime Vorlieben hat."
„Thomas, verstehst du nicht? Du warst es doch, der mir erzählte, daß es dort angeblich wieder spuke und daß die Pächter des nachts verwunschene Stimmen in dem Gemäuer gehört hätten! Mit Sicherheit hält sie Philippe irgendwo da oben gefangen. Ich werde sofort aufbrechen!"
Mit einem Satz war er an der Tür, doch der Major hielt ihn auf. „Warte auf mich, Wilcox. Du wirst doch nicht so verrückt sein und alleine ein ganzes Räubernest ausheben wollen."
Der Lord blickte ihn entschlossen an. „Du kannst auf keinen Fall mitkommen! Du mußt hier bleiben und aufpassen, daß mir niemand folgt. Lady Fairfax darf nicht den leisesten Verdacht haben, daß wir ihr auf die Schliche gekommen sind. Versuch mit allen Mitteln, die beiden Damen zu unterhalten. Sag ihnen, ich sei über Nacht zum Notar in die Stadt geritten, um morgen die nötigen Angelegenheiten für die Hochzeit zu regeln, oder irgendwas, aber halt mir den Rücken frei!"
Der Major schaute ihn ratlos an. „Paßt mir überhaupt nicht, alter Knabe. Wenn dich einer von diesem Mordgesindel aus London anfällt, will ich an deiner Seite stehen und nicht auf Blenfield Park mit zwei Pappschachteln Tee trinken. Aber nun gut, wenn du meinst." Unwillig räusperte er sich.
„Danke, Thomas! Ich wußte, daß ich auf dich zählen kann. Falls ich im Morgengrauen nicht zurückgekehrt bin, kannst du jemanden nach mir schicken, aber auf keinen Fall vorher!"
Mit diesem Satz war der Lord verschwunden. Der Major blieb alleine in dem dämmrigen Zimmer zurück und schüttelte den Kopf. „Er ist unvorsichtig", raunte er vor sich hin, doch dann verließ auch er den Raum, um sich seiner Aufgabe zu widmen.
Erst nachdem er Stepford und die Landstraße verlassen hatte, gestand Wilcox seinem Pferd eine kleine Pause zu. Er war glücklich, daß der junge Hengst diese Anstrengungen mühelos über sich ergehen ließ, und strich beruhigend über den Hals des Tieres. Er würde ihn nicht weit von hier entfernt anbinden und den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen, um keine auffälligen Geräusche zu machen. Es konnte eigentlich kaum noch ein Zweifel daran bestehen, daß Philippe in der Ruine gefangengehalten wurde, und der Lord würde nicht eher ruhen, bis er das alte Gemäuer gründlich untersucht hatte.
Wilcox blickte sich um, und bald schon fand er einen geeigneten Platz für sein Pferd. Dann machte er sich auf den Weg.
Es dauerte nicht lange, bis das alte Gemäuer im Mondschein vor ihm aufragte. Es war wirklich ein verwunschener Ort – abgetrennt vom Lauf der Zeit, und Wilcox hätte für einen Moment glauben können, er sei der einzige Mensch auf der Welt.
Geschickt schlüpfte er durch den zusammengesackten Torbogen. Moos dämpfte seine Schritte, und es war kein Laut zu vernehmen. Langsam begann er sich an diesen Ort zu erinnern. Im Dunkel der Nacht erkannte er die Reste der hohen Mauern, zwischen denen die Sterne klar am blauen Nachthimmel aufleuchteten.
Für einen Moment blieb er in einem dunklen Winkel stehen, um sich orientieren zu können. Er befand sich auf dem großen Innenhof. Ihm gegenüber erhoben sich die starken
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