Verborgene Lust
Gemütliches. Als Felix einen winzigen Ecktisch entdeckt, quetschen sie sich dahinter, und Felix bestellt eine Flasche Wein. Maria bemerkt, dass sich die meisten Besucher in der anderen Ecke der Bar drängen. Es wird viel geredet, durch das Stimmengewirr können sie sich kaum verstehen.
»Weißt du, wer dort mit all den jungen Männern und Frauen Hof hält?«, fragt Felix auf die Menge deutend.
Maria schüttelt den Kopf.
»Niemand anders als der große existenzialistische Schriftsteller Jean-Paul Sartre«, erklärt Felix. Maria weiß nicht, was Existenzialismus ist, schämt sich jedoch, das zuzugeben.
»Kennst du ihn?«, fragt sie und reckt ihren Hals, um über die Köpfe hinwegzusehen, aber das ist unmöglich. Dazu müsste sie aufstehen.
»Ja, tatsächlich«, sagt Felix und füllt ihr Glas. »Aber ich mag den Mann nicht. Er ist ein Schürzenjäger der schlimmsten Art.«
»Was ist die schlimmste Art?«, will Maria neugierig wissen.
»Er kennt keine Demut. Das ist unangenehm.«
Bevor sie ihre Unterhaltung fortsetzen können, wird ihr Tisch auf einmal von einer Gruppe von Leuten umlagert. Alle begrüßen Felix überschwänglich, als hätten sie ihn seit Jahren nicht gesehen. Und vielleicht haben sie das ja auch nicht. Laut Jacqueline ist er in den zwei Jahren, die er in London lebt, allerdings häufig in Paris gewesen. Maria windet sich auf ihrem Stuhl. Es ist ihr unangenehm, dass die anderen sie ignorieren und dass Felix sie auch nicht vorstellt.
Schließlich wendet sich eine ungefähr dreißigjährige Frau mit einem kupferroten Kurzhaarschnitt an sie. »Hallo«, sagt sie, »wer bist du?«
»Maria.«
»Nett, dich kennenzulernen. Ich bin Vivienne. Bist du Felix’ neues Mädchen?«
Die Art, wie sie das sagt, beunruhigt Maria. Wie viele »neue Mädchen« hat Felix seinen Freunden denn schon vorgestellt? Doch langsam zeigt der Wein seine Wirkung, und Maria entspannt sich. Sie kann es kaum glauben. Da sitzt sie an dem schicksten und heißesten Ort in ganz Europa, mit einem so klugen, erotischen und begabten Mann – einem Mann, der Jean-Paul Sartre kennt und noch dazu ein Filmemacher ist.
Überall am Tisch wird in atemberaubender Geschwindigkeit gesprochen. Marias Französisch ist zwar gut, aber nichtsdestotrotz hat sie Schwierigkeiten zu folgen. Sie versteht, dass die meisten der Leute am Tisch Filmemacher, Schriftsteller, Musiker, Künstler und Dramatiker sind. Ein Mann fasziniert Maria besonders. Er redet so gut wie gar nicht, sondern zeichnet mit einem Stift in ein winziges Notizbuch, das er wiederholt aus der Manteltasche zieht und wieder wegsteckt. Die meisten am Tisch unterhalten sich angeregt miteinander. Abgesehen von Vivienne spricht nur noch ein kleiner, dicker Mann mit Maria. Er trägt runde Brillengläser, heißt René und sagt, er sei Dichter. Nach ein paar Stunden in der Bar schlägt Vivienne vor, tanzen zu gehen.
»Das Tabou ist dicht, aber es gibt den Club Saint-Germain . Lasst uns dorthin gehen«, fordert sie die anderen auf. »Boris Vian spielt heute Abend Trompete.«
»Mir gefallen seine Texte besser«, bemerkt Felix.
Während er spricht, lässt er die Augen durch die Bar gleiten, als suche er jemand, dann landet sein Blick wieder bei Maria. Er starrt sie an, als sehe er sie zum ersten Mal. In seinem durchdringenden Blick liegt Verlangen. Er ängstigt sie ein wenig, erregt sie aber auch. Plötzlich spürt Maria die kleine goldene Kugel deutlicher als zuvor zwischen ihren weichen Falten. Sie bewegt sich auf ihrem Stuhl, und die Kugel dreht sich in ihr, berührt sie leicht und bereitet ihr Lust. Maria hält den Atem an. Wie soll sie die Nacht mit diesem Schmuckstück überstehen? Natürlich könnte sie einfach auf die Toilette gehen und es abnehmen, doch sie möchte ihren Geliebten nicht enttäuschen. Sie will ihm zeigen, dass sie so verwegen ist, wie er es sich wünscht. Und obwohl es ihr etwas unangenehm ist, ist es auch ein bisschen aufregend, es zu tragen, noch dazu ohne Unterwäsche. Sie sitzt zwischen diesen fremden Menschen, ohne dass einer von ihnen ahnt, was Felix und sie tun.
Erst als Maria aufsteht, merkt sie, dass sie ziemlich angetrunken ist. Sie blickt zu Felix. Ob sie ihn bitten kann, mit ihr ins Hotel zurückzugehen? Aber er ist in ein Gespräch mit René und einem anderen Mann vertieft.
Vivienne hakt sich bei ihr unter. »Tanzt du gern, Maria?«, fragt sie. Sie hat klare grüne Augen. Wie Seegras.
Maria will ihr gerade erzählen, dass sie Tänzerin ist, als sie etwas
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