Verborgene Lust
Valentina sich um. Und plötzlich hat sie das Gefühl, ihr werde der Boden unter den Füßen weggezogen. Die Galerie schwankt, und der Champagner bewirkt, dass sie leicht nach vorne taumelt. Vor ihr steht, genauso fassungslos wie sie, niemand anders als Thomas.
Maria
Maria hat Joan verloren. Normalerweise bleiben sie beieinander. Seit über einem Monat gehen sie im Schnitt zwei- bis dreimal pro Woche zusammen aus, um sich neue Musik aus den Staaten anzuhören und zu tanzen. Maria sieht sich in dem vollen Club um. In der Dunkelheit ist es schwierig, jemanden zu erkennen, die Luft hängt voll Zigarettenqualm. Nur die Band ist zu sehen. Maria beobachtet, wie der Trompetenspieler sich zurücklehnt, sein glänzendes Instrument zur Decke hebt und den Ton herausstößt. Das ist eine neue Art von Jazz, drängend und wild. Er beschleunigt ihren Puls, und trotz ihrer Sorge wippt sie unwillkürlich mit den Hüften. Trotzdem muss sie sofort Joan finden. Es ist Zeit, nach Hause zu gehen. Sie haben morgen früh Unterricht, und es ist schon nach Mitternacht.
Sie schlängelt sich durch die Menge. Die Männer mustern sie, und ein oder zwei versuchen, sie aufzuhalten, und sprechen sie an.
»Alles klar, Schönheit?«
»Suchst du mich, Schätzchen?«
Aber die meisten Männer lauschen versunken der Musik, als seien sie in Trance.
Erleichtert entdeckt Maria ihre neue Freundin an einem Tisch in der Ecke. Warum hat sie sich einfach umgesetzt, ohne ihr etwas zu sagen? Sie ist in Gesellschaft von zwei Männern. Der eine sitzt neben Joan und hat den Arm um ihre Schultern gelegt, der andere sitzt mit dem Rücken zu Maria. Maria wird schwer ums Herz. Das ist das Letzte, worauf sie jetzt Lust hat. Bislang war es ein schöner Abend gewesen. Erst waren sie im Astoria zum Tanzen gewesen, und dann sind sie hier in diesen kleinen Club nach Soho gekommen, um die Musik zu hören, von der Joan behauptet, sie erinnere sie an ihren amerikanischen Liebhaber Stan. Aber jetzt ist Maria müde und will nach Hause ins Bett. Sie hat Jacqueline versprochen, vor Mitternacht zurück zu sein. Sie ist bereits zu spät. Die von ihr nicht gewollte Aufmerksamkeit eines Mannes abzuwehren ist das Letzte, wonach ihr ist. Als sie auf den Tisch zugeht, winkt Joan ihr zu.
»Da bist du ja«, sagt Joan mit süßem Lächeln. »Wo warst du?«
»Du hast den Tisch gewechselt«, antwortet Maria und setzt sich in den Stuhl neben einen der fremden Männer.
»Ach, ja, tut mir leid.« Joan kichert. »Ralph hier wollte, dass wir uns zu ihnen setzen. Du hast doch nichts dagegen, oder? Sie haben dir ein Getränk ausgegeben.«
Joan deutet mit dem Kopf auf ihren Begleiter. Maria muss zugeben, dass er sehr attraktiv ist. Er hat schwarze Haare, einen gepflegten Schnauzbart und perfekt geformte Brauen. Er sieht aus wie ein russischer Aristokrat. Allerdings ist er schon ziemlich betrunken und nimmt Marias Gegenwart kaum wahr. Dann flüstert er Joan etwas ins Ohr, woraufhin diese noch stärker kichert. Maria sitzt aufrecht auf ihrem Stuhl und wagt es nicht, den Mann neben sich anzusehen. Schließlich hustet er und zwingt sie, ihn zu beachten.
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Maria. Ich heiße Douglas.«
Er sieht typisch englisch aus, blasse Haut mit Sommersprossen, sandfarbene Haare und wasserblaue Augen. Sie schüttelt seine schlaffe Hand, dann trinkt sie einen Schluck von dem spendierten Drink. Er steigt ihr in die Nase und spritzt heraus.
»Alles in Ordnung?«, fragt Douglas.
»Ja, alles okay«, erwidert Maria. »Ich weiß nur nicht, was ich da trinke.«
»Gin Tonic.« Douglas holt seine Zigaretten heraus und bietet ihr eine an. »Trinken die Mädchen das nicht alle heutzutage?«
»Ich trinke immer nur Wein.«
»Verstehe. Sie sehen aus, als kämen Sie vom Kontinent. Woher stammen Sie?«
»Aus Italien.«
Einen Augenblick scheint Douglas sich unwohl zu fühlen.
»Ich wünschte, Sie hätten gesagt, dass Sie Französin oder Spanierin sind«, gesteht er schließlich.
»Warum?«
»Weil ich im Krieg in Abessinien gegen die Italiener gekämpft habe.« Douglas schüttelt den Kopf und sieht nach oben zu der Band, die gerade eine neue Nummer anspielt. Maria ist sprachlos. Jetzt fühlt sie sich noch unwohler. Vielleicht kann sie einfach nach Hause gehen. Wäre es in Ordnung, Joan allein zu lassen? Maria blickt zu ihrer Freundin. Sie ist ziemlich betrunken. Da sieht Maria, wie Ralph seine Hand unter Joans Rock gleiten lässt. Das reicht. Maria muss sie hier hinausschaffen, bevor
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