Verborgene Lust
trommelt mit den Fingern auf den Tresen. »Auch dafür muss man sich nicht schämen. Es zeugt von großem Optimismus. Ich fürchte, Liebes, im Gegensatz zu dir bin ich zu sehr Realistin. Und ich glaube, Valentina auch.«
Isabella hebt fragend die Brauen, und Valentina blickt ihr in die Augen. Ob die ältere Frau weiß, dass Valentina sie mit den beiden jungen Männern gesehen hat? Diese Frau führt offenbar ein Doppelleben.
»Nun, ihr Lieben«, Isabella nimmt Handtasche und Schlüssel, »ich muss zur Arbeit. Wir sehen uns heute Abend bei Valentinas Eröffnung. Ciao!«
Die Freundinnen vereinbaren, ein paar Stunden zu schlafen. Antonella verschwindet im Schlafzimmer ihrer Tante und überlässt Valentina das andere Zimmer.
Bevor sie ins Bett geht, duscht Valentina. Sie stellt die Wassertemperatur so hoch ein, dass sie es gerade noch aushalten kann. Dampf umhüllt ihren Körper, und der feste Wasserstrahl kribbelt auf ihrer Haut. Sie wäscht die Eiscreme, Francescos Geruch und die Erinnerung an die letzte Nacht ab. Sie reinigt sich von ihrer Vergangenheit. Valentina schließt die Augen und hält das Gesicht unter den Duschstrahl. Sie hat den Verlust von Francesco überwunden, ihren ersten Liebeskummer, unter dem sie jahrelang gelitten hat. Zu ihrer Verzweiflung allerdings erst, nachdem sie Thomas verloren hat.
Können Thomas und sie je eine richtige Beziehung miteinander führen? Sie werden nie ein normales Paar sein, so wie die aus den Hollywoodfilmen, an die die Welt angeblich glaubt. In Wahrheit sind die meisten Paare unvollkommen. Vielleicht sind die am glücklichsten, die ehrlich miteinander sind und eine offene Beziehung leben, so wie Leonardo und Raquel. Eine solche Beziehung würde Thomas auch gefallen. Valentina denkt an den letzten Herbst und die erotischen Abenteuer, die sie mit Leonardo im Club erlebt hat. Die hatte Thomas inszeniert, ebenso wie ihre Partnerwechsel. Er hatte kein Problem damit, wenn Valentina mit anderen Männern schlief, er hatte es vielmehr sogar befördert. Als sie ihn in Venedig nach dem Grund dafür gefragt hatte, behauptete er, er habe ihr zeigen wollen, dass er sie so liebe, wie sie sei und sie nicht ändern wolle. Er verstand, dass sie ein Freigeist war, und wollte ihr klarmachen, dass man auch in einer Beziehung frei sein konnte, solange man einander vertraute. Vertrauen: Alles hängt von diesem einen Wort ab. Das hatte Thomas bei ihrer letzten Begegnung erneut von ihr verlangt. Wenn sie ihm beweist, dass sie ihm vertraut, hat sie ihm damit zugleich ihre Liebe bewiesen. Aber wie soll sie das anstellen?
Valentina gleitet unter die kühle Decke, von der Dusche ist ihre Haut erhitzt und seidig. Erschöpft lässt sie sich in die Matratze sinken, kann jedoch nicht einschlafen. Sie weiß, dass sie schlafen muss. Es wird eine lange Nacht, und sie muss in Form sein. Schließlich ist es der Abend der Ausstellungseröffnung, und Thomas und Anita werden ebenfalls dort sein. Valentina braucht Kraft, um ihnen zu begegnen.
Sie dreht sich auf die Seite und umklammert die Decke. Bei der Vorstellung, Thomas zusammen mit Anita zu sehen, ergreift sie plötzlich nackte Panik. Valentina setzt sich im Bett auf, wobei die Decke von ihren nackten Brüsten rutscht. Sie muss mit jemandem reden. Es ist sinnlos, Antonella zu wecken. Sie ist Thomas gegenüber voreingenommen. Wer ist ihnen beiden gleichermaßen zugetan? Wer ist unbefangen?
Als sie Leonardos Stimme hört, fühlt Valentina sich sofort besser. Seine Stimme hat dieselbe tröstende Wirkung auf sie wie ein Becher heißer Schokolade.
»Hallo, Süße, wie ist London?«
»Verwirrend.«
Sie erzählt Leonardo alles. Sachen, die sie keiner anderen Menschenseele anvertrauen würde. Sie erzählt ihm, dass sie die Vorstellung nicht erträgt, Thomas mit seiner neuen schönen Freundin auf der Ausstellungseröffnung zu sehen. Sie erzählt ihm, dass sie gestern ihren Vater besuchen wollte und ihr Vorhaben an Glen gescheitert ist.
Glens Drohungen scheinen Leonardo extrem zu beunruhigen. »Hast du das Thomas erzählt?«, fragt er mehrmals.
»Nein. Ich habe ihn nicht mehr gesehen. Und ich will ihn nicht anrufen, damit er nicht denkt, ich würde hinter ihm her sein.«
»Du musst Thomas von Glen erzählen, Valentina. Vielleicht solltest du sogar die Polizei informieren.«
»Keine Sorge, ich glaube, er ist nur ein Maulheld. Was nutze ich ihm schon, wenn ich nicht mehr mit Thomas zusammen bin?«, sagt sie mutig.
»Okay«, gibt ihr Freund widerwillig nach.
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