Verborgene Lust
sehen, dann zoomt die Kamera heran und zeigt einen Blick über Paris. Nun bemerkt Valentina, dass die Aufnahme vermutlich kurz nach dem Krieg entstanden ist. Sie sieht einen Bombenschaden und vereinzelt alte Wagen, die über die breiten Boulevards fahren. Der Schirm wird schwarz, und in Weiß erscheinen die Anfangstitel.
Valentina hat offenbar rein zufällig den Beginn der Videoinstallation erwischt.
Dort steht weiß auf schwarz:
Der Beginn der O., ein erotisches Märchen von Anita Chappell
Basierend auf dem Film Der Fall von Psyche von Felix Leduc, 1948
Das ist also Anitas Videoinstallation, von der Kirsti Shaw so begeistert war. Eine weibliche Stimme spricht mit eindeutig britischem Akzent. Dazu sind körnige Schwarzweißbilder zu sehen. In dem Zimmer mit dem Dachfenster sitzt eine junge Frau nackt auf dem Bett. Ihr Gesicht ist leicht unscharf. Sie hat die Hände in den Schoß gelegt und starrt in die Kamera. Etwas an dem fordernden Blick der jungen Frau fasziniert Valentina. Die Stimme sagt:
»Eine andere Version desselben Anfangs ist komplizierter, weniger direkt. Bevor die junge Frau von ihrem Liebhaber und dem zweiten Mann fortgeschafft wurde, einem unbekannten Freund ihres Geliebten, bevor ihr Liebhaber sie vorbereitete, indem er ihr die Hände auf dem Rücken fesselte, ihre Strümpfe löste und diese nach unten rollte, ihr den Strumpfhalter abnahm, ihr Höschen und BH auszog und ihr die Augen verband, und bevor man sie in das Schloss fuhr, wo sie ihre Anweisungen erhielt – vor alledem lag der Beginn der O. Sie traf in Paris ein, ohne die Lust zu kennen, und hatte Angst vor Schmerzen.«
Das Bild des auf dem Bett sitzenden Mädchens verschwindet und wird von einer Nahaufnahme ihrer Lippen ersetzt. Das Bild zieht auf, und man sieht ihr Gesicht noch immer unscharf und verschleiert. Ihre Augen sind riesig, als blickten sie voller Bewunderung in die Kamera. Sie sagt etwas, doch da es sich um einen Stummfilm handelt, kann man es natürlich nicht hören.
»Was sagt sie?«, fragt die Off-Stimme. »Bittet sie ihn, sie zu berühren?«
Die Kamera zieht auf, und das Mädchen hockt nackt auf den Knien. Beinahe sieht es aus, als würde sie beten. Sie streckt dem Kameramann die Hände entgegen und sagt erneut etwas.
»Er bringt ihr bei, sich selbst zu befriedigen«, erklärt die Stimme.
Das nächste Bild zeigt dasselbe Mädchen auf dem Bett sitzend. Sie lehnt sich gegen das Kopfende, zieht die Knie an und spreizt die Beine. Sie streichelt sich. Ihre Augen sind geschlossen, aber sie spricht – es sind immer dieselben Worte. Das Filmmaterial ist bemerkenswert. Es ist offensichtlich ein früher pornografischer Film, dennoch erscheint er Valentina nicht vulgär.
»Er sieht zu, wie sie sich selbst zum Höhepunkt bringt.«
Valentina ist überrascht, dass die Frau auf dem Bildschirm einen Orgasmus erlebt. Etwas daran ist unglaublich erotisch. Sie spürt ein Ziehen zwischen den Beinen. Ob die anderen Zuschauer ähnlich empfinden?
Das nächste Bild des Films ist wieder eine Nahaufnahme. Sie zeigt den Hinterkopf des Mädchens, die dunklen Locken fallen über ihren nackten Rücken. Ganz kurz dreht sie sich um und lächelt in die Kamera. Etwas an ihrem Gesicht kommt Valentina vertraut vor. Jetzt kniet die junge Frau mit dem Rücken zur Kamera. Sie hat die Arme ausgebreitet, ihre Handgelenke sind an das Bettgestell gefesselt. Die Kamera konzentriert sich auf ihr Gesäß. Auf den Schwarzweißaufnahmen wirkt es perlmuttweiß und glatt wie eine wunderschöne Marmorskulptur, nicht wie ein echter Körper. Die Kamera zieht noch weiter auf. Plötzlich streckt das Mädchen ihr Hinterteil noch mehr nach oben, als ob man es dazu aufgefordert hätte, und spreizt weiter die Beine.
»Er beginnt mit ihrer Besitznahme.«
Jetzt entdeckt Valentina eine andere Gestalt im Raum. Es ist ein Mann, aber er steht mit dem Rücken zur Kamera. Er ist vollständig bekleidet und steht vor dem nackten Po des Mädchens. Er löst seinen Gürtel und lässt die Hosen nach unten gleiten, sodass sein festes Gesäß nun die weichen Kurven des Mädchens ersetzt. Valentina beobachtet, wie er die Taille des Mädchens fasst und in sie eindringt. Sie stellt fest, dass sie nicht zusieht, wie der Mann die Frau vögelt, sondern dass sie auf den Rücken und den Kopf des Mädchens achtet, der sich vor und zurück bewegt. Welcher Ausdruck jetzt wohl auf ihrem Gesicht liegt? Ob sie vor Lust lächelt? Oder vor Schmerz den Mund aufreißt? Ist sie gleichgültig, sind
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