Verborgene Lust
zum Vorschein gebracht, und Maria registriert unweigerlich, dass die Männer sie ansehen. Sie weiß nicht, wohin sie geht, nur, dass sie in Richtung Fluss läuft. Als Maria an einer Boulangerie vorbeikommt, geht sie hinein. Sie ist hungrig. Für ein paar Centimes ersteht sie ein frisches Baguette. Sie setzt sich auf eine Mauer, blickt über die Seine auf die beeindruckende Kathedrale von Notre-Dame und verschlingt das Brot. Es schmilzt in ihrem Mund. Nachdem sie wochenlang nur grobes rationiertes Graubrot gegessen hat, schmeckt der weiche Teig süß wie Kuchen. Maria versteht nicht, warum die Franzosen anscheinend besseres Essen als die Engländer haben. Schließlich war Frankreich besetzt und England nicht. Ihre Gedanken schweifen ab, und sie überlegt, was Felix hier in Paris für Geschäfte zu erledigen hat. Gegen ihren Willen denkt sie daran, dass Guido sie vor Felix gewarnt hat. Der Italiener hatte gesagt, Felix sei nicht nett. Nun, natürlich nicht. Schließlich hat Felix im Zweiten Weltkrieg in der Resistance gekämpft. Es ist nur natürlich, dass er Dinge getan hat, die er lieber vergessen möchte. Aber warum macht er ein so großes Geheimnis daraus? Vielleicht jagt Felix Kollaborateure und bringt sie vor Gericht? Das passt allerdings nicht zu seiner Rolle als Filmregisseur, aber möglich ist schließlich alles. Der Krieg hat die unmöglichsten Kandidaten zu Helden gemacht.
Maria ist müde, erschöpft von dem Drama der letzten Tage. Sie wendet der Seine und der Île de la Cité den Rücken zu. Die Stadt wird sie an einem anderen Tag besichtigen – gemeinsam mit Felix. Dann kann er ihr seine Stadt zeigen und wo er aufgewachsen ist. Vielleicht wird sie jemanden aus seiner Familie kennenlernen? Jetzt, wo sie in Frankreich sind, wird er ihr sicher etwas von seiner Vergangenheit erzählen. Und hat er ihr gestern Abend etwa einen Heiratsantrag gemacht? Maria stellt sich vor, wie sie mit Felix über die abfallende Straße von Saint-Germain-des-Prés spaziert und vor ihnen her ein kleines Mädchen mit wilden schwarzen Haaren rennt. Die Kleine dreht sich um und ruft nach ihrem Vater. Felix hebt sie hoch und schwingt sie durch die Luft. Dank Maria und allem, was sie ihm gegeben hat, ist Felix glücklich.
In der Nacht kommt Felix zurück. Als er unter die Decke neben sie gleitet, zuckt Maria kurz zusammen. Er nimmt sie in die Arme. Sie schläft noch, aber in ihren Träumen hört sie ihn weinen. Er schluchzt wie ein Kind. Untröstlich.
Nach einer Weile hört das Weinen auf, dann küsst Felix Maria und streichelt ihren Körper.
»Felix«, murmelt sie, erwacht, schlingt die Beine um seine Taille und führt ihn instinktiv in sich hinein.
Er rollt sie auf den Rücken und legt sich auf sie. Sie trägt sein gesamtes Gewicht und spürt seinen Kummer. Es schmerzt sie. Ihr armer Liebling. Was hat er durchgemacht?
»Verlass mich nie«, flüstert er drängend.
»Niemals«, verspricht sie.
Nun bewegt er sich voller Leidenschaft. In der Dunkelheit kann sie sein Gesicht nicht erkennen, aber sie spürt seine nassen Wangen. Sie hat sich sein Weinen nicht eingebildet. Dieser starke erwachsene Mann hat sie in den Armen gehalten und neben ihr geweint. Er braucht sie . Immer tiefer dringt er in sie ein, und sie zieht sich um ihn zusammen. Maria hält ihn fest in den Armen, während er sich in ihr bewegt und sich in die Sicherheit ihres liebenden Körpers flüchtet.
Wie viele Tage verbringen sie in dem kleinen Pariser Hotelzimmer? Maria weiß es nicht. Die Hitze der pulsierenden Stadt strömt durch das offene Fenster herein. Die Geräusche des Lebens rieseln durch die Risse in der alten Wand, doch Maria verspürt kein Verlangen, das Zimmer zu verlassen. Hinter der Tür, unter dem Laken des Bettes hat sie alles, was sie braucht.
Sie ist berauscht vom Sex, bezaubert von Felix und dem, was er ihr gibt. In ihrem Hinterkopf meldet sich eine leise Stimme und fleht sie an, das Bett zu verlassen. Sie sagt, sie solle sich vor ihren Gefühlen in Acht nehmen, aufstehen, das Zimmer verlassen, durch die glühend heißen Straßen von Paris laufen und sich beruhigen. Doch Maria kann nicht. Sie kann sich nicht dagegen wehren. Sie ist eine Gefangene ihrer Lust. Nicht einmal der Hunger bringt sie dazu, das Zimmer zu verlassen. Wenn sie zwischen ihren Liebesakten kurz einschläft, geht Felix hinaus und besorgt etwas zu essen. Wenn sie wieder aufwacht, hat er frisches Baguette, reifen cremigen Käse und Rotwein besorgt. Frankreich leidet ganz sicher
Weitere Kostenlose Bücher