Verborgene Lust
sieht die Ursache von Thomas’ Gereiztheit. Sie ist nicht überrascht, als sie ihren alten Widersacher Glen erkennt. Er trägt einen tadellosen dunklen Anzug und arbeitet sich durch die Menge.
»Es tut mir leid, Valentina, ich muss gehen und ihn abfangen.« Er wendet sich wieder zu ihr um, streckt plötzlich die Hand aus und zerzaust spielerisch ihre Haare. »Deine neue Frisur ist übrigens klasse«, sagt er, dann verschwindet er ohne ein weiteres Wort in der Menge.
Als hätte er ihr einen Schlag in den Magen versetzt, ringt Valentina um Fassung und bekommt keine Luft. Wieso konnten sie Glen nicht einfach ignorieren? Oder ihm gemeinsam begegnen? Warum muss Thomas davonlaufen und sie stehen lassen, damit alle sehen, wie sie ihm hinterherglotzt? Sie versucht, sich wieder zu fassen, aber zu ihrer Schande brennen Tränen in ihren Augen. Sie fühlt sich abgewiesen. Sie dachte, dass Thomas sie noch immer lieben würde. Er hat gesagt, dass er das täte, aber sein Verhalten spricht Bände. Für einen Außenstehenden sieht es aus, als habe er sie längst aufgegeben. Vielleicht macht er ihr nur etwas vor, wenn er ihr so durch die Haare fährt. Er könnte ein Spiel mit ihr spielen – eine Art Rache dafür, dass sie ihm das Herz gebrochen hat. Das kann sie nicht glauben. Thomas ist nicht rachsüchtig. Doch wenn sie an ihr Verhalten Francesco gegenüber denkt, muss sie zugeben, dass ein gebrochenes Herz einen zu einigem befähigt. Sie hat nicht vergessen, wie ihre erste Liebe sie verletzt hat, und jetzt, fast zehn Jahre später, hatte sie Lust, ihm ebenfalls wehzutun.
»Alles in Ordnung?« Leonardo steht neben ihr und hakt sich bei ihr unter. »Du wirkst ein bisschen blass um die Nase.«
»Glen ist hier«, sagt Valentina.
»Wo?«, fragt Leonardo ärgerlich. »Ich hätte nichts dagegen, ein paar Worte mit ihm zu wechseln.«
»Anscheinend ist er verschwunden«, erwidert Valentina und blickt über die Menge, die sich seit Leonardos Ankunft vervielfacht hat. »Thomas ist gerade mitten im Gespräch davongestürmt, um mit ihm zu reden.«
»Nun, dann muss es wichtig sein«, versucht Leonardo sie zu trösten. »Hast du Thomas gesagt, dass Glen dich verfolgt hat?«
»Noch nicht«, seufzt sie. »Ich glaube, du hast recht. Vielleicht versucht Thomas etwas mit ihm auszuhandeln.«
»Hör zu, wollen wir von hier verschwinden?«, schlägt Leo vor. »Ich sterbe vor Hunger.«
»Klar. Ich muss nur erst noch mal auf die Toilette.«
Valentina drückt etwas edle Seife in ihre Hände und dreht den Wasserhahn auf.
Sie betrachtet sich im Spiegel über dem Waschbecken. Mit ihrer neuen Frisur sieht sie anders aus als sonst. Thomas hat gesagt, es gefiele ihm. Obwohl sie verletzt ist, dass er sie in der Galerie hat stehen lassen, freut sie sich ein bisschen, dass er ihre neue Aufmachung bemerkt hat. Die Tür zur Damentoilette geht auf, und die Person, der Valentina am allerwenigsten begegnen möchte, stolziert herein: Noch immer ist Anita mit dem Bridget-Riley-Kleid und der schwarzen Perücke wie ihre Mutter zurechtgemacht.
»Valentina, da bist du ja!«, ruft Anita. Die Perücke ist etwas verrutscht, ihr Gesicht ist leicht gerötet und ihr Blick etwas unscharf. Anscheinend hat sie zu viel Champagner getrunken.
Valentina holt ihren Lippenstift heraus, zieht die Lippen nach und beobachtet Anita kühl über den Spiegel. Ihre Rivalin zieht die Perücke vom Kopf und fährt sich durch die blonden Haare, die daraufhin auf ihre Schultern herabfallen.
»Gott sei Dank«, sagt sie. »Die Perücke hat gejuckt.« Sie grinst Valentina an, wobei ein paar leicht schiefe Zähne zum Vorschein kommen. Doch nicht ganz perfekt. Ihre Miene wirkt allerdings so offen und freundlich, dass Valentina sich schuldig fühlt, dass sie ihr Thomas ausspannen will.
»Amüsierst du dich?«, will Anita wissen.
»Klar. Obwohl ich große Menschenansammlungen nicht sonderlich mag«, gibt Valentina zu.
»Ich auch nicht«, pflichtet Anita ihr bei. »Ich würde gern gehen, aber ich kann Thomas nicht finden. Hast du ihn gesehen?«
Valentina vermutet, dass sie Glen lieber nicht erwähnen sollte. Es ist zu kompliziert zu erklären, und außerdem ist sie sich ziemlich sicher, dass Anita nicht über Thomas’ Karriere als Kunstdieb Bescheid weiß.
»Nein, ich habe ihn schon eine Weile nicht mehr gesehen«, lügt Valentina, steckt den Lippenstift ein und klemmt ihre Tasche unter den Arm.
»Darf ich dich etwas Persönliches fragen?«, sagt Anita und schwankt auf ihren hohen
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