Verborgene Lust
ihr.«
»Das ist ziemlich seltsam.« Leonardo trinkt einen Schluck Wein.
»Das gibt mir Hoffnung«, gibt Valentina zu, »dass er es ernst meint, wenn er behauptet, mich noch immer zu lieben. Ich verstehe allerdings nicht, warum er sich nicht einfach von Anita trennen kann.«
»Du musst ihm vertrauen, Valentina.«
»Glaubst du auch, dass sie noch nicht miteinander geschlafen haben?«
»Das ist schon überraschend. Andererseits kann ich Thomas irgendwie verstehen.«
»Inwiefern?«
Leonardo lächelt nachdenklich. »Was ich dir jetzt sage, wird dich ein wenig schockieren.«
Valentina trinkt noch einen Schluck Wein und wartet, dass Leonardo fortfährt.
»Ich habe mich entschlossen, eine Sexpause zu machen.«
Fast verschluckt sich Valentina und verspritzt etwas von ihrem Wein. »Machst du Witze? Ausgerechnet du? Warum?«
»Es hat mit der Trennung von Raquel zu tun. Das hat mich ziemlich aus der Bahn geworfen, und ich muss erst wieder zu mir zurückfinden. Solange ich mich so verletzlich fühle, will ich nicht mit jemandem schlafen.«
»Aber Sex hilft dir doch sicher, dich besser zu fühlen?«, widerspricht Valentina.
»Immer ganz direkt, meine geliebte Valentina.« Er zögert, nimmt eine Scheibe Brot und taucht sie in Olivenöl. »Das sehe ich anders. Vielleicht hilft es vorübergehend, aber ich will erst mit mir selbst ins Reine kommen.«
»Aber du und Raquel hattet eine offene Beziehung. Ich verstehe nicht, warum dich das so umwirft«, beharrt Valentina.
»Weil sie mein Vertrauen missbraucht hat.« Leonardo sieht plötzlich wütend aus. »Ich will wirklich nicht darüber sprechen, Valentina. Konzentrieren wir uns auf dich und Thomas, ja?«
»Aber heißt das, dass du nicht einmal mehr mit mir schläfst?«, fragt Valentina und bemerkt, dass Leonardo nicht nur wegen seiner kurzen Haare verändert aussieht. Da ist noch etwas anderes – er wirkt irgendwie so zurückgenommen heute Abend.
»Ja, Valentina. Es heißt vor allem, dass ich nicht mit dir ins Bett gehen darf.«
Als Valentina später einzuschlafen versucht, denkt sie über Leonardos Worte nach. Es heißt vor allem, dass ich nicht mit dir ins Bett gehen darf.
Sie versteht nicht, warum er sich nicht von ihr trösten lassen will. Das war doch immer so leicht zwischen ihnen – Sex ohne Verpflichtungen. Warum will er das auf einmal nicht mehr? Thomas hat sie ziemlich verunsichert, und Leonardo gibt ihr Selbstvertrauen.
Valentina dreht sich von einer Seite auf die andere und versucht zu schlafen. Sie wünschte, Antonella wäre hier, damit sie Tee trinken und reden könnten, aber Valentina ist allein in der Wohnung. Antonella ist mit Mikhail ins Hotel gegangen, und Isabella ist gar nicht erst nach Hause gekommen. Gott weiß, was sie treibt. Etwas an Antonellas Tante nervt Valentina. Weil sie sich nicht altersgemäß verhält? Eigentlich ist es doch cool, dass Isabella sich nicht darum schert, dass sie Mitte fünfzig ist und noch immer Spaß hat. Vermutlich vergleicht Valentina Isabella insgeheim mit ihrer Mutter. Sie verhält sich so, wie Valentina es von ihrer Mutter annimmt. Schließlich haben sie sich in den Sechziger- und Siebzigerjahren in derselben Mailänder Szene bewegt. Valentina denkt, dass man damals deutlich experimentierfreudiger als heute war und oft den Partner wechselte. Valentina hat ihre Mutter seit Wochen nicht gesprochen. Zuletzt an Neujahr, das ist fast vier Monate her. Sie hatte ihre Mutter angerufen, weil sie sich an Weihnachten nicht gemeldet hatte. Wie üblich war Valentina als Erste eingeknickt. Ihre Mutter, die ewige Narzisstin, hatte die meiste Zeit von sich gesprochen. Sie schwadronierte darüber, dass sie als Heilerin in New Mexiko arbeiten wolle, was Valentina völlig lächerlich fand. Wie wollte ihre Mutter als Heilerin arbeiten, wenn sie noch nicht einmal die Beziehung zu ihrer Tochter in Ordnung bringen konnte? Am Ende hatte ihre Mutter ein wenig Interesse an Valentinas Leben gezeigt und sich nach ihren letzten Fotoaufträgen erkundigt. Valentina hatte es sorgfältig vermieden, Tina von ihren erotischen Aufnahmen zu erzählen. Sie wusste, dass ihrer Mutter die Idee gefallen würde, aber irgendwie ahnte sie auch, dass Tina Rosselli die Lorbeeren für sich beanspruchen oder Valentina erzählen würde, dass sie solche Aufnahmen auch schon gemacht habe. Es folgte eine unangenehme Pause, und Valentina wollte sich schon verabschieden, als ihre Mutter sagte:
»Mattia hat mir erzählt, dass es mit diesem jungen Amerikaner aus
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