Verborgene Muster
hatte, würde sie hervorragend damit fertig werden, würde im Clinch beißen und
sich an den Seilen wegducken. Ja, sie würde ohne den Rat und den Schutz ihres Vaters
überleben.
Die Kids von heute waren härter. Er dachte an seine eigene Jugend zurück. Er war Michaels großer
Bruder gewesen und hatte sich für sie beide herumgeprügelt, nur um dann nach Hause zu kommen und
zu sehen, wie sein Bruder vom Vater verhätschelt wurde. Er hatte sich immer tiefer in die Kissen
auf dem Sofa gedrückt in der Hoffnung, eines Tages ganz zu verschwinden. Dann würde es ihnen Leid
tun. Dann würde es ihnen Leid tun...
Um halb acht ging er in das muffige Schlafzimmer, wo es zu zwei Dritteln nach Sex und zu einem
Drittel nach Tierhöhle roch, und küsste Gill wach.
»Es wird Zeit«, sagte er. »Steh auf, ich lass dir ein Bad ein.«
Sie roch gut, wie ein Baby auf einem Handtuch am Kamin. Bewundernd betrachtete er ihren
eingekuschelten Körper, während sie im schwachen, fahlen Sonnenlicht aufwachte. Sie hatte
wirklich eine gute Figur. Praktisch keine Dehnungsstreifen. Keine Orangenhaut an den Beinen. Ihr
Haar gerade so zerzaust, um einladend zu wirken.
»Danke.«
Sie musste um zehn im Präsidium sein, um die nächste Pressemitteilung herauszugeben. Es war ihr
keine Ruhe gegönnt.
Der Fall wuchs immer weiter, wie ein Krebsgeschwür. Angewidert über den Schmutzrand in der Wanne
ließ Rebus das Bad ein. Er brauchte eine Putzfrau. Vielleicht konnte er ja Gill dazu
herumkriegen.
Schon wieder ein unwürdiger Gedanke. Vergib mir.
Das veranlasste ihn, darüber nachzudenken, ob er in die Kirche gehen sollte. Schließlich war
schon wieder Sonntag, und seit Wochen hatte er sich vorgenommen, dass er es noch einmal versuchen
wollte. Er wurde sich eine weitere Kirche in der Stadt suchen und es noch einmal probieren.
Er hasste diese Kirchengemeinden, hasste das Lächeln und das Verhalten schottischer Protestanten
im Sonntagsstaat, denen es weniger um eine Gemeinschaft mit Gott als mit ihren Nachbarn ging. Er
hatte bereits sieben Kirchen unterschiedlicher Konfessionen in Edinburgh ausprobiert, und keine
hatte ihm gefallen. Er hatte versucht, sonntags zwei Stunden lang zu Hause zu sitzen, in der
Bibel zu lesen und zu beten, aber das funktionierte irgendwie auch nicht. Er saß in der Falle,
ein Gläubiger im Zwiespalt mit seiner Religion. Würde Gott ein ganz privater Glaube reichen?
Vielleicht, aber nicht sein privater Glaube, der offenbar auf Schuldbewusstsein und dem Gefühl
von Heuchelei beruhte, das er jedes Mal empfand, wenn er gesündigt hatte, ein Schuldgefühl, das
nur durch öffentliche Zurschaustellung gelindert wurde.
»Ist mein Bad fertig, John?«
Nackt und selbstbewusst stand sie da und zauste noch einmal durch ihr Haar. Ihre Brille hatte sie
im Schlafzimmer gelassen. John Rebus spürte, dass seine Seele in Gefahr war. Was soll's, dachte
er und fasste sie um die Hüften. Das schlechte Gewissen konnte warten. Das schlechte Gewissen
konnte immer warten.
Hinterher musste er den Fußboden im Badezimmer aufwischen, mal wieder ein empirischer Beweis für
die Wasserverdrängungstheorie des Archimedes. Das Badewasser war wie Milch und Honig
übergeschäumt, und Rebus war fast ertrunken.
Trotzdem fühlte er sich jetzt besser.
»Herr, ich bin ein armer Sünder«, flüsterte er, während Gill sich anzog. Sie wirkte professionell
und streng, als sie die Haustür öffnete, fast so als wäre das ein offizieller Besuch von zwanzig
Minuten gewesen.
»Können wir was ausmachen?«, fragte er vorsichtig.
»Können wir«, antwortete sie und wühlte in ihrer Handtasche. Rebus hätte zu gern gewusst, warum
Frauen das immer machten, nachdem sie mit einem Mann geschlafen hatten, besonders in Spielfilmen
und Krimis. Verdächtigten sie ihren Beischläfer, er hätte in ihrer Tasche gestöbert?
»Aber es könnte schwierig werden«, fuhr sie fort, »so wie der Fall zurzeit läuft. Verbleiben wir
doch einfach so, dass wir uns melden, okay?«
»Okay.«
Er hoffte, dass sie die leichte Bestürzung in seiner Stimme bemerkte, die Enttäuschung eines
kleinen Jungen, dem man eine Bitte abgeschlagen hat.
Sie gaben sich einen letzten flüchtigen Kuss, ihre Münder waren jetzt spröde, und dann war sie
fort. Doch ihr Duft blieb zurück, und er atmete ihn tief ein, während er sich auf den vor ihm
liegenden Tag vorbereitete. Er fand ein Hemd und eine Hose, die nicht nach Zigarettenqualm
stanken, und zog sie gemächlich an. Mit feuchten
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