Verborgene Muster
knabberten an den Knochen, die ihnen das
Leben so hinwarf. Die Lothian Road war Edinburghs Müllhalde. Allerdings lagen hier auch das
Sheraton Hotel und Usher Hall. Rebus war ein einziges Mal in der Usher Hall gewesen, wo er sich
mit Rhona und all den anderen blasierten Seelen Mozarts Requiem angehört hatte. Das war typisch
für Edinburgh, ein Krümel Kultur inmitten von Fast-Food-Läden. Ein Requiem und eine Tüte
Fritten.
»Wie läuft's denn zurzeit so mit der Pressearbeit?«
Sie saßen in seinem hastig aufgeräumten Wohnzimmer. Sein ganzer Stolz, ein Nakamichi-Tapedeck,
spielte dezent eine der Jazz-Kassetten aus seiner Sammlung von Hintergrundmusik für späte Stunden
- Stan Getz oder Coleman Hawkins.
Er hatte ein paar Sandwiches mit Thunfisch und Tomate zusammengebastelt, nachdem Gill zugegeben
hatte, dass sie gelegentlich Fisch aß. Die Flasche Wein war geöffnet, und er hatte eine Kanne mit
frisch gemahlenem Kaffee aufgebrüht, ein Luxus, den er sich normalerweise nur sonntags zum
Frühstück erlaubte. Jetzt saß er seinem Gast gegenüber und sah zu, wie sie aß. Leicht erschrocken
dachte er, dass dies der erste Damenbesuch war, seit Rhona ihn verlassen hatte, doch dann
erinnerte er sich äußerst vage, dass es schon ein paar Abenteuer für eine Nacht gegeben
hatte.
»Die Pressearbeit läuft prima. Und glaub mir, das ist wirklich keine komplette Zeitverschwendung.
Heutzutage erfüllt das durchaus seinen Zweck.«
»Ich will es doch gar nicht runtermachen.«
Sie sah ihn an und versuchte abzuschätzen, wie ernst er das meinte.
»Ich weiß nur«, fuhr sie fort, »dass viele unserer Kollegen meinen Job für eine komplette
Verschwendung von Zeit und Arbeitskraft halten. Glaub mir, in einem Fall wie diesem ist es
dringend notwendig, dass die Medien auf unserer Seite sind und dass wir ihnen die Informationen
zukommen lassen, die wir zu einem bestimmten Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gebracht haben
wollen. Das erspart eine Menge Ärger.«
»Hört, hört.«
»Spar dir deine Witze, du Esel.«
Rebus lachte.
»Ich mache niemals Witze. Ich bin durch und durch Polizist.«
Gill Templer starrte ihn erneut an. Sie hatte die typischen Augen eines Inspectors. Sie drangen
einem direkt ins Gewissen, spürten Schuld, Arglist und böse Triebe auf und suchten nach
verborgener Schuld.
»Und als Pressesprecherin«, sagte Rebus, »musst du also ein... enges Verhältnis zur Presse
pflegen, ja?«
»Ich weiß, worauf Sie hinauswollen, Sergeant Rebus, und als die Ranghöhere fordere ich Sie auf,
damit aufzuhören.«
»Sir!« Rebus salutierte knapp.
Dann holte er den Kaffee aus der Küche.
»War das nicht eine schreckliche Party?«, sagte Gill.
»Das war die beste Party, auf der ich je war«, sagte Rebus. »Schließlich hätte ich dich sonst
vielleicht nie kennen gelernt.«
Diesmal fing sie schallend an zu lachen, den Mund voll mit einem Brei aus Thunfisch, Brot und
Tomate.
»Du bist ja echt verrückt«, rief sie.
Rebus zog lächelnd die Augenbrauen hoch. Beherrschte er das Spiel nicht mehr? Doch, das tat er.
Es lief wunderbar.
Irgendwann musste sie ins Bad. Rebus legte gerade eine neue Kassette ein und dachte darüber nach,
wie beschränkt doch sein musikalischer Geschmack war. Wer waren all diese Gruppen, die sie immer
wieder erwähnte?
»Im Flur«, sagte er. »Linke Seite.«
Als sie zurückkam, lief wieder Jazz, manchmal so leise, dass die Musik kaum zu hören war. Rebus
saß wieder in seinem Sessel.
»Was ist das für ein Zimmer gegenüber vom Bad, John?«
»Tja«, sagte er und schenkte Kaffee ein, »das war früher das Zimmer von meiner Tochter, jetzt
steht da nur noch Gerümpel drin. Ich benutze es nie.«
»Wann habt ihr euch getrennt, du und deine Frau?«
»Ist noch nicht so lange her, wie es hätte sein sollen. Das ist mein voller Ernst.«
»Wie alt ist deine Tochter?« Sie klang jetzt mütterlich besorgt, war nicht die bissige allein
stehende Karrierefrau.
»Fast zwölf«, sagte er. »Fast zwölf.«
»Das ist ein schwieriges Alter.«
»Jedes Alter ist schwierig.«
Als der Wein ausgetrunken und vom Kaffee nur noch eine halbe Tasse übrig war, schlug einer von
ihnen vor, ins Bett zu gehen. Sie lächelten sich verlegen an und gaben sich gegenseitig das
rituelle Versprechen, dass sie gar nichts versprechen würden. Und nachdem dieser Vertrag wortlos
eingegangen und unterzeichnet war, gingen sie ins Schlafzimmer.
Es fing alles ganz gut an. Schließlich waren sie erwachsene Menschen und hatten dieses
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