Verborgene Muster
Griff.
»Freut mich, Sie kennen zu lernen«, sagte er. Dann sagte er mit einer ruckartigen Kopfbewegung:
»Gill und ich kennen uns sehr gut, nicht wahr, Gill?«
»Nicht so gut, wie du zu glauben scheinst, Jim.«
Er lachte und sah dann kurz zu Rebus.
»Sie ist bloß schüchtern«, sagte er. »Schon wieder ein Mädchen ermordet worden, hab ich
gehört.«
»Jim hat überall seine Spione.«
Stevens tippte gegen seine knallrote Nase und grinste Rebus an.
»Überall«, sagte er, »und ich komm auch überall rum.«
»Ja, ganz schon umtriebig, unser Jim«, sagte Gill. Ihre Stimme klang beißend scharf, und ihre
Augen wirkten plötzlich völlig unnahbar hinter all dem Glas und Plastik.
»Morgen schon wieder 'ne Presseerklärung, Gill?«, sagte Stevens, während er in seinen Taschen
nach den Zigaretten suchte, die er längst verloren hatte.
»Ja.«
Die Hand des Reporters landete auf Rebus' Schulter.
»Alte Freunde, Gill und ich.«
Dann verabschiedete er sich mit einem lässigen Winken, ohne auf eine Reaktion darauf zu warten,
und zog sich langsam zurück, während er weiter in den Taschen nach seinen Zigaretten wühlte und
Rebus' Gesicht in Gedanken abspeicherte.
Gill Templer lehnte sich seufzend gegen die Wand, an der Stevens' missglückter Kuss gelandet
war.
»Einer der besten Reporter Schottlands«, stellte sie ganz sachlich fest.
»Und du musst dich in deinem Job mit solchen Typen auseinander setzen?«
»Er ist gar nicht so übel.«
Im Wohnzimmer schien ein Streit auszubrechen.
»Also«, sagte Rebus und strahlte übers ganze Gesicht, »sollen wir jetzt die Polizei rufen oder
mochtest du lieber mit mir in ein kleines Restaurant gehen, das ich ganz gut kenne?«
»Soll das eine Anmache sein?«
»Vielleicht. Das musst du selber rausfinden. Du bist ja schließlich Detective.«
»Na schön, was auch immer das sein soll, Detective Sergeant Rebus, Sie haben Glück. Ich bin
nämlich kurz vorm Verhungern. Ich hole meinen Mantel.«
Rebus war sehr zufrieden mit sich. Dann fiel ihm ein, dass irgendwo auch sein Mantel herumlag. Er
fand ihn in einem der beiden Schlafzimmer mit seinen Handschuhen und - welch angenehme
Überraschung - der noch nicht geöffneten Flasche Wein. Er nahm es als göttliches Zeichen, dass er
die Flasche im Laufe des Abends noch brauchen würde, und steckte sie ein.
Gill war in dem anderen Schlafzimmer und wühlte in einem Berg Mäntel auf dem Bett. Unter der
Bettdecke schien man heftig beim Geschlechtsverkehr zu sein, und der ganze Wust von Mänteln und
Bettzeug schwankte und bebte wie eine gigantische Amöbe. Kichernd fand Gill schließlich ihren
Mantel und kam auf Rebus zu, der sie verschwörerisch aus dem Türrahmen anlächelte.
»Wiedersehen, Cathy«, rief sie in das Zimmer zurück, »danke für die Party.«
Unter dem Bettzeug kam, vielleicht als Erwiderung, ein erstickter Schrei hervor. Rebus, der mit
aufgerissenen Augen dastand, spürte, wie seine ganze Charakterstärke wie ein trockenes Stück
Käsegebäck zerbröckelte.
Im Taxi saßen sie ein kleines Stück voneinander entfernt. »Du und dieser Stevens, ihr seid also
alte Freunde?«
»Das bildet der sich ein.« Sie starrte an dem Fahrer vorbei auf die vom Regen glatte Straße vor
ihnen. »Jims Gedächtnis kann auch nicht mehr das sein, was es früher einmal war. Ganz im Ernst,
wir sind einmal miteinander ausgegangen, wirklich nur ein einziges Mal.« Sie hielt einen Finger
hoch. »An einem Freitagabend, glaube ich. Zweifellos ein großer Fehler.« Rebus war mit dieser
Antwort zufrieden. Allmählich bekam er wieder Hunger.
Doch als sie bei dem Restaurant ankamen, hatte es bereits geschlossen - selbst für Rebus -, also
blieben sie im Taxi und Rebus lotste den Fahrer zu seiner Wohnung.
»Ich mache ganz gute Speck-Sandwiches«, sagte er. »Wie schade«, sagte sie. »Ich bin
Vegetarierin.«
»Großer Gott, du isst also überhaupt kein Gemüse?«
»Warum müssen Fleischfresser immer Witze darüber machen?«, sagte sie mit schneidender Stimme.
»Das ist wie mit Männern und der Frauenbewegung. Wie kommt das nur?«
»Weil wir Angst davor haben«, sagte Rebus, mittlerweile wieder halbwegs nüchtern.
Gill sah ihn an, doch er beobachtete gerade aus dem Fenster, wie die betrunkenen Nachtschwärmer
die mit Stolperfallen übersäte Lothian Road entlangtorkelten, auf der Suche nach Alkohol, Frauen
und Glück. Für einige von ihnen war es eine nie endende Suche. Schwankend machten sie ihre
Rundgänge durch Clubs und Pubs und Imbissstuben und
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