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Verborgene Muster

Titel: Verborgene Muster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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sie einen
Witz machte. Vielleicht war alles auf ihre erste wahre Liebe zurückzuführen, auf den Mann, der
ihr erklärt hatte, Mädchen mit Brille würden seiner Erfahrung nach am besten ficken. Das war
fünfzehn Jahre her, doch sie sah immer noch den Ausdruck auf seinem Gesicht vor sich, das
Lächeln, das Funkeln in seinen Augen. Und sie sah auch ihre eigene Reaktion, das Entsetzen
darüber, dass er »ficken« gesagt hatte. Heute konnte sie darüber lächeln. Mittlerweile fluchte
sie genauso viel wie ihre männlichen Kollegen, ebenfalls um ihre Reaktionen zu testen. Alles war
für Gill Templer ein Spiel, alles bis auf den Job. Sie war nicht durch Glück oder gutes Aussehen
Inspector geworden, sondern durch harte, erfolgreiche Arbeit und den Willen, so hoch in der
Hierarchie aufzusteigen, wie man sie nur lassen würde. Und nun saß sie neben ihrem Chief
Inspector, dessen Anwesenheit bei solchen Veranstaltungen rein symbolisch war. Es war Gill, die
die Verlautbarungen herausbrachte, Gill, die den Chief Inspector instruierte, und alle wussten
das. Ein Chief Inspector mochte zwar durch seinen Rang dem Ganzen mehr Gewicht geben, doch Gill
Templer war diejenige, die den Journalisten ihre »Extras« geben konnte, nützliche
Informationsfetzen, die bisher unerwähnt geblieben waren.
Niemand wusste das besser als Jim Stevens. Er saß hinten im Raum und rauchte, ohne die Zigarette
ein einziges Mal aus dem Mund zu nehmen. Er hörte dem Chief Inspector kaum zu. Er konnte warten.
Dennoch notierte er den einen oder anderen Satz, um ihn später vielleicht doch zu gebrauchen.
Schließlich war er immer noch ein Zeitungsmann. Alte Gewohnheiten sterben nie. Der Fotograf, ein
eifriger junger Mann, der nervös alle paar Minuten die Objektive gewechselt hatte, war mit seinem
vollgeknipsten Film verschwunden. Stevens sah sich um, ob jemand da war, mit dem er hinterher
einen trinken gehen konnte. Alle waren sie da. Die alten Hasen von der schottischen Presse und
auch die englischen Korrespondenten. Schottisch, englisch, griechisch - es spielte keine Rolle,
Presseleute waren einfach unverkennbar. Ihre Gesichter waren grob, sie rauchten, und ihre Hemden
waren ein bis zwei Tage alt. Sie sahen nicht aus, als ob sie gut bezahlt wurden, dabei wurden sie
extrem gut bezahlt, bekamen mehr zusätzliche Leistungen als die meisten. Aber sie mussten für ihr
Geld arbeiten, hart arbeiten, um Kontakte aufzubauen, sich irgendwelche Nischen zu suchen und
anderen Leuten auf die Zehen zu treten. Er beobachtete Gill Templer. Was wusste sie über John
Rebus? Und wäre sie bereit, es ihm zu erzählen? Schließlich waren sie immer noch Freunde, sie und
er. Immer noch Freunde.
Vielleicht keine guten Freunde, ganz gewiss keine guten Freunde - obwohl er sich bemüht hatte.
Und jetzt sie und Rebus... Warte nur, bis er den Schweinehund erst mal festgenagelt hatte, wenn
es was zum Festnageln gab. Natürlich gab es da was. Das spürte er. Dann würden ihr die Augen
geöffnet, richtig geöffnet. Dann gäbe es nichts mehr zu deuten. Er bastelte bereits an der
Überschrift. Irgendwas mit »Bruder im Leben - Bruder im Verbrechen!« Ja, das hörte sich gut an.
Die Rebus-Brüder hinter Gittern, und alles sein Werk. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem
Mordfall zu. Aber es war viel zu einfach, viel zu einfach, sich hinzusetzen und über die
Unfähigkeit der Polizei zu schreiben, über den mutmaßlichen Wahnsinnigen. Dennoch war das im
Augenblick sein täglich Brot. Und außerdem konnte er dabei immerhin Gill Templer anstarren.
»Gill!«
Er erwischte sie, als sie gerade ins Auto steigen wollte.
»Hallo, Jim.« Kühl und geschäftsmäßig.
»Hör mal, ich wollte mich für mein Benehmen bei der Party entschuldigen.« Schon nach dem kurzen
Sprint über den Parkplatz war er völlig außer Atem und konnte nur mit Mühe sprechen. »Ich war
halt ein bisschen besoffen. Tut mir leid.«
Doch Gill kannte ihn zu gut, um nicht zu wissen, dass das nur ein Vorwand für eine Frage oder
Bitte war. Plötzlich empfand sie ein bisschen Mitleid für ihn, Mitleid wegen seines dichten
blonden Haars, das dringend gewaschen werden musste, wegen seiner gedrungenen Statur, die sie mal
für kraftvoll gehalten hatte, wegen seines gelegentlichen Zitterns, als sei ihm kalt. Doch das
Mitleid verflog rasch. Es war ein harter Tag gewesen.
»Warum hast du bis jetzt gewartet, um mir das zu sagen? Das hättest du bereits bei der
Pressekonferenz am Sonntag tun

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