Verborgene Muster
können.«
Er schüttelte den Kopf.
»Ich hab's nicht zu der Pressekonferenz am Sonntag geschafft. Ich war ein bisschen verkatert. Das
hättest du doch merken müssen, dass ich nicht da war?«
»Warum hätte ich das merken sollen? Viele andere waren da, Jim.«
Das traf ihn, aber er sah darüber hinweg.
»Wie dem auch sei«, sagte er, »es tut mir leid. Okay?«
»Klar doch.« Sie machte Anstalten, ins Auto zu steigen.
»Darf ich dich zu einem Drink oder irgendwas einladen? Sozusagen um die Entschuldigung zu
begießen.«
»Tut mir leid, Jim. Ich hab schon was vor.«
»Triffst du dich mit diesem Rebus?«
»Vielleicht.«
»Pass auf dich auf, Gill. Dieser Typ könnte nicht ganz so sein, wie er vielleicht scheinen
mag.«
Sie richtete sich wieder auf.
»Ich meine«, sagte Stevens, »sei einfach vorsichtig, okay?«
Mehr wollte er vorläufig nicht sagen. Nachdem er einen Samen des Misstrauens gepflanzt hatte,
würde er ihm erst mal Zeit geben zu wachsen. Dann würde er sie genau befragen, und vielleicht
wäre sie ja bereit, ihm was zu erzählen. Er drehte sich um und ging, die Hände in der Tasche, auf
die Sutherland Bar zu.
----
XIV
In Edinburghs Zentralbibliothek, einem großen, nüchternen alten Gebäude, eingezwängt zwischen
einem Buchladen und einer Bank, nahmen die Stadtstreicher ihre üblichen Plätze für das tägliche
Nickerchen ein. Sie kamen hierher, als ob Warten ihr Schicksal sei und um die Tage völliger Armut
zu überbrücken, bevor die nächste Rate von der Sozialhilfe fällig war. Dieses Geld wurde dann an
einem einzigen Festtag (mit Mühe an zwei) auf den Kopf gehauen, für Wein, Weib und Gesang,
letzterer vor einem verständnislosen Publikum.
Die Haltung des Bibliothekspersonals diesen Pennern gegenüber reichte von extremer Intoleranz
(gewöhnlich bei den älteren Mitarbeitern) bis zu nachdenklichem Bedauern (bei den noch recht
jungen Bibliothekarinnen). Es war jedoch eine öffentliche Bibliothek, und solange diese
abgeklärten Tippelbrüder sich zu Beginn des Tages ein Buch nahmen, konnte man nichts gegen sie
unternehmen, es sei denn, sie fingen an zu randalieren. In dem Fall war rasch ein Sicherheitsmann
zur Stelle.
So schliefen sie auf den bequemen Stühlen. Manchmal wurden sie stirnrunzelnd von Leuten
betrachtet, die sich fragten, ob Andrew Carnegie so etwas im Sinn gehabt hatte, als er das Geld
für die ersten öffentlichen Büchereien zur Verfügung stellte. Den Schläfern machten diese Blicke
nichts aus. Sie träumten weiter, auch wenn sich niemand die Mühe machte, sich nach ihren Träumen
zu erkundigen oder sie für wichtig hielt.
Zur Kinderbuchabteilung hatten sie jedoch keinen Zutritt. Ja, jeder Erwachsene, der dort
herumschmökerte, ohne ein Kind im Schlepptau zu haben, wurde misstrauisch beäugt, besonders seit
den Morden an diesen armen kleinen Mädchen. Die Bibliothekare unterhielten sich oft darüber.
Hängen war die Lösung, darin waren sich alle einig. Und tatsächlich wurde das Thema Todesstrafe
mal wieder im Parlament diskutiert, wie das immer geschieht, wenn ein Massenmörder aus den
finsteren Ecken des zivilisierten Britanniens auftaucht. Doch die am häufigsten wiederholte
Äußerung unter den Bürgern von Edinburgh hatte nichts mit Hängen zu tun. Eine der
Bibliothekarinnen brachte es auf den Punkt: »Aber hier, in Edinburgh! Das ist undenkbar!«
Massenmörder gehörten in die rußigen engen Straßen des Südens und der Midlands, nicht in
Schottlands Bilderbuch-Hauptstadt. Die Zuhörer nickten entsetzt und traurig darüber, dass es sich
hier um etwas handelte, dem sich alle stellen mussten, die Ladys in Morningside mit ihrer nicht
mehr ganz so glänzenden vornehmen Herkunft, jeder Rowdy, der die Straßen in den Wohnsiedlungen
durchstreifte, jeder Anwalt, Banker, Makler, Verkäufer und Zeitungsjunge. Bürgerwehrgruppen waren
rasch ins Leben gerufen und genauso rasch von der prompt reagierenden Polizei wieder aufgelöst
worden. Das sei nicht die Lösung, sagte der Chief Constable. Die Leute sollten zwar wachsam sein,
aber auf keinen Fall das Gesetz selbst in die Hand nehmen. Während er das sagte, rieb er seine
eigenen behandschuhten Hände aneinander, und einige Zeitungsleute spekulierten, ob er sich nicht
unbewusst bereits die Hände à la Freud in Unschuld wusch. Jim Stevens' Chef entschloss sich zu
folgender Schlagzeile: SPERRT EURE TÖCHTER EIN!, und ließ es dabei bewenden.
Die Töchter wurden tatsächlich eingesperrt. Einige Eltern
Weitere Kostenlose Bücher