Verborgene Muster
schweißtreibenden Kantine hatte er Zigarette Nummer elf geraucht, wobei er
sich einredete, das sei ein Vorgriff auf die nächste Tagesration, und die Zeitung gelesen.
Offenbar suchten sie jetzt nach neuen, schockierenden Adjektiven, nachdem sie ihre Wort-Vorräte
ausgeschöpft hatten. Die erschreckenden, wahnsinnigen, abgrundtief bösen Verbrechen des Würgers.
Dieser geisteskranke, böse, von Sex besessene Mann. (Es schien sie nicht zu kümmern, dass der
Mörder keines seiner Opfer sexuell missbraucht hatte.) Schulmädchen-Killer! »Was macht unsere
Polizei bloß? Alle Technologie der Welt ist kein Ersatz für das Gefühl der Sicherheit, das uns
Bobbys auf Streife geben. JETZT BRAUCHEN WIR SIE.« Das stammte von James Stevens, unserem
Polizeireporter. Rebus erinnerte sich an den stämmigen, betrunkenen Mann von der Party. Er
erinnerte sich an Stevens' Gesichtsausdruck, als er Rebus' Namen erfuhr. Das war merkwürdig.
Alles war verdammt merkwürdig. Rebus legte die Zeitung hin. Reporter. Erneut wünschte er Gill
alles Gute bei ihrer Arbeit. Er betrachtete das verschwommene Foto auf der Titelseite des
Boulevardblatts. Es zeigte ein etwas dümmlich dreinschauendes Kind mit kurzen Haaren. Das Mädchen
grinste nervös, als ob das Bild gestellt wäre. Zwischen den Schneidezähnen hatte sie eine schmale
Lücke, was ihr etwas Liebenswertes gab. Arme Nicola Turner, zwölf Jahre alt, Schülerin einer der
Gesamtschulen im Süden der Stadt. Sie hatte keinerlei Beziehung zu irgendeinem der anderen toten
Mädchen. Es bestanden keine erkennbaren Verbindungen zwischen ihnen. Hinzu kam noch, dass der
Mörder einen Jahrgang nach oben gegangen war und sich diesmal ein Mädchen aus dem Gymnasium
ausgesucht hatte. Also war auch das Alter kein konstanter Faktor. Es blieb alles weiterhin
vollkommen willkürlich. Das machte Anderson wahnsinnig.
Doch Anderson würde niemals zugeben, dass der Mörder seine geliebte Polizeitruppe an der Nase
herumführte. Völlig an der Nase herumführte. Es musste irgendwelche Anhaltspunkte geben. Die
musste es einfach geben. Rebus trank seinen Kaffee aus und spürte, wie ihm der Kopf schwirrte. Er
kam sich vor wie der Detektiv in einem billigen Thriller und wünschte, er könnte zur letzten
Seite blättern und dieses ganze Chaos beenden, all den Tod und den Wahnsinn und das Dröhnen in
seinen Ohren.
Wieder an seinem Platz in der Einsatzzentrale sammelte er die Berichte über die Anrufe ein, die
während seiner Abwesenheit hereingekommen waren. Die Telefonisten arbeiteten auf Hochtouren, und
ein Fernschreiber druckte fast ununterbrochen irgendwelche neuen Informationen aus, die andere
Polizeistationen im ganzen Land für hilfreich für den Fall hielten und deshalb an sie
weitergaben.
Anderson bewegte sich durch den Lärm, als schwimme er in Sirup.
»Was wir brauchen, ist ein Auto, Rebus. Ich möchte die Zeugenaussagen über Männer, die gesehen
wurden, wie sie mit einem Kind wegfuhren, in einer Stunde alle zusammen auf meinem Schreibtisch
haben. Ich will das Auto von diesem Dreckskerl.«
»Ja, Sir.«
Damit war er wieder fort. Und er watete so tief durch Sirup, dass jeder normale Mensch dann
ertrunken wäre. Aber nicht der unzerstörbare Anderson, der keinerlei Sinnesorgan für etwaige
Gefahren besaß. Das machte ihn zu einer Belastung, dachte Rebus, während er in den Papierstapeln
auf seinem Schreibtisch blätterte, die eigentlich nach irgendeinem System geordnet sein
sollten.
Autos. Anderson wollte Autos, also würde er Autos bekommen. Es gab auf die Bibel geschworene
Beschreibungen von einem Mann in einem blauen Escort, einem weißen Capri, einem lilafarbigen
Mini, einem gelben BMW, einem silbernen TRV, einem umgebauten Krankenwagen, einem Eiswagen (der
Anrufer klang italienisch und wollte anonym bleiben) und einem riesigen Rolls Royce mit
persönlichem Nummernschild. Ja, lasst uns die doch alle in den Computer geben und sie gegen jeden
blauen Escort, weißen Capri und Rolls-Royce in Großbritannien checken. Und wenn wir all diese
Informationen vorliegen haben... was dann? Noch mehr Befragungen von Tür zu Tür, noch mehr
Telefonanrufe und Vernehmungen, noch mehr Papierkram und sonstiger Unsinn. Ganz egal, Anderson
würde den ganzen Kram locker bewältigen, ohne sich von dem Chaos in seinem Privatleben ablenken
zu lassen, und am Ende würde er strahlend sauber und unantastbar dastehen, wie in einer Werbung
für Waschpulver. Dreimal hoch.
Hipp, hipp.
Schon bei
Weitere Kostenlose Bücher