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Verborgene Muster

Titel: Verborgene Muster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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Wenn es da drinnen doch nur ruhiger gewesen wäre. Wenn er doch nur hätte
hören können, worüber die beiden sprachen. Rebus sah ihn hinausgehen.
»Ich glaub, den kenne ich«, erklärte er Michael und deutete mit dem Kopf auf die Tür. »Der ist
Reporter beim lokalen Käseblatt.«
Michael Rebus versuchte zu lächeln, lächeln, lächeln, aber er hatte das Gefühl, dass seine Welt
auseinander fiel.
Die Rio Grande Bingo Hall war früher mal ein Kino gewesen. Die vorderen zwölf Sitzreihen hatte
man herausgerissen und durch Bingo-Tische und Hocker ersetzt, aber im hinteren Teil des Raumes
gab es immer noch zahlreiche Reihen verstaubter roter Sessel, und auf den Rängen war die
Bestuhlung noch völlig intakt. John Rebus sagte, er würde lieber oben sitzen, um Michael nicht
abzulenken. Er folgte einem älteren Mann und seiner Frau die Treppe hinauf. Die Sitze sahen
bequem aus, aber als er sich vorsichtig in der zweiten Reihe niederließ, spürte John Rebus, wie
die Sprungfedern in seinen Hintern stachen. Er rutschte ein bisschen hin und her, um die
bequemste Position zu finden, und entschied sich schließlich für eine Stellung, bei der eine
Hinterbacke den größten Teil seines Gewichts trug.
Unten schien ein ganz ansehnliches Publikum zu sein, doch hier oben auf dem düsteren,
heruntergekommenen Rang war er mit dem alten Ehepaar allein. Dann hörte er auf dem Gang Schritte
klappern. Sie hielten eine Sekunde lang inne, dann schob sich eine dralle Frau in die zweite
Reihe. Rebus war gezwungen aufzublicken und sah, dass sie ihn anlächelte.
»Was dagegen, wenn ich mich hier hinsetze?«, fragte sie. »Oder warten Sie auf jemand?«
Ihr Blick war voller Hoffnung. Rebus schüttelte höflich lächelnd den Kopf. »Dachte ich mir doch«,
sagte sie und setzte sich neben ihn. Und er lächelte. Er hatte Michael noch nie so viel oder so
unbehaglich lächeln gesehen. War es denn so peinlich für ihn, seinen älteren Bruder zu treffen?
Nein, da musste mehr dahinterstecken. Michael hatte gelächelt wie ein kleiner Dieb, der schon
wieder erwischt worden war. Sie mussten miteinander reden.
»Ich komme oft hierher zum Bingo und dachte, heute wär's vielleicht ganz lustig. Seit mein Mann
tot ist«, bedeutungsvolle Pause, »ist es halt nicht mehr so wie früher. Ich geh eben ganz gern ab
und zu aus, verstehen Sie. Das tun doch schließlich alle, oder etwa nicht? Also dachte ich, das
guck' ich mir mal an. Weiß nicht, was mich veranlasst hat, nach oben zu gehen. Schicksal
vermutlich.« Ihr Lächeln wurde breiter. Rebus lächelte zurück.
Sie war Anfang vierzig, ein bisschen viel Make-up und zuviel Parfüm, aber ganz gut erhalten. Sie
redete, als hätte sie seit Tagen mit niemandem gesprochen, als müsste sie sich unbedingt
beweisen, dass sie noch sprechen könnte und man ihr zuhörte und sie verstand. Sie tat Rebus leid.
Er sah in ihr ein wenig von sich selbst; nicht viel, aber es reichte.
»Und was treibt Sie hierher?« Sie zwang ihn zu sprechen.
»Ich bin wegen der Show hier, genau wie Sie.« Er wagte nicht zu sagen, dass der Hypnotiseur sein
Bruder war. Das hätte ihr zu viele Möglichkeiten gegeben, um weiterzufragen.
»Mögen Sie solche Sachen?«
»Ich hab so was noch nie gesehen.«
»Ich auch nicht.« Sie lächelte wieder, diesmal verschwörerisch. Sie hatte festgestellt, dass sie
etwas gemeinsam hatten. Dankenswerterweise gingen nun die Lichter aus - jedenfalls das bisschen,
was an Licht da war - und ein Spotlicht erhellte die Bühne. Ein Ansager kündigte die Show an. Die
Frau öffnete ihre Handtasche und nahm unter viel Geraschel eine Tüte mit Bonbons heraus. Sie bot
Rebus eines an.
Überrascht stellte Rebus fest, dass er die Show genoss, wenn auch bei weitem nicht so sehr wie
die Frau neben ihm. Sie brüllte vor Lachen, als ein freiwilliges Opfer, das seine Hose auf der
Bühne gelassen hatte, so tat, als schwömme es den Gang auf und ab. Einem weiteren
Versuchskaninchen wurde suggeriert, es sei völlig ausgehungert. Einer Frau, sie sei eine
Stripteasetänzerin bei einem ihrer Auftritte. Einem Mann, er würde gerade einschlafen.
Obwohl ihm die Vorführung immer noch Spaß machte, begann Rebus selbst einzunicken. Das war die
Wirkung von zu viel Alkohol, zu wenig Schlaf und der brütend warmen Luft in dem Theater. Erst der
Schlussapplaus weckte ihn. Michael, der in seinem glitzernden Bühnenanzug schwitzte, nahm den
Applaus entgegen, als wäre er süchtig danach. Er kam zurück, um sich noch

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