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Verborgene Muster

Titel: Verborgene Muster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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wie ein
abgetragenes Kleidungsstück in Fetzen gerissen worden war? Er ging im Warteraum des Krankenhauses
auf und ab. Ihm fehle nichts, erklärte er ihnen. Er wusste, dass Gill und Anderson irgendwo auf
dem Flur waren. Der arme Anderson. Durch das schmutzige Fenster beobachtete er, wie draußen
einige Krankenschwestern lachend durch den Regen gingen. Ihre Umhänge flatterten um sie herum,
als ob sie einem alten Dracula-Film entsprungen waren. Wie konnten sie nur lachen? Nebel senkte
sich auf die Bäume, und die Schwestern verschwanden in diesem Nebel, immer noch lachend,
losgelöst vom Leiden dieser Welt, als hätte ein längst vergangenes Edinburgh sie in seine
geheimnisvollen Abgründe aufgenommen, und sie nähmen alles Lachen dieser Welt mit.
Mittlerweile war es fast dunkel, die Sonne nur noch ein blasser Schimmer hinter den dichten
Wolken. Die religiösen Maler der Vergangenheit mussten solche Himmel gekannt haben, mussten mit
ihnen von Tag zu Tag gelebt und die rötliche Verfärbung der Wolken als Zeichen von Gottes
Gegenwart akzeptiert haben, als Ausfluss seiner schöpferischen Macht. Rebus war kein Maler. Seine
Augen erkannten Schönheit nicht in der Realität, sondern im gedruckten Wort. Während er da im
Warteraum stand, wurde ihm bewusst, dass er sein Leben lang Erfahrungen aus zweiter Hand - die
Erfahrungen, die man gewinnt, wenn man die Gedanken eines anderen liest - über das wirkliche
Leben gestellt hatte. Doch jetzt war er unerbittlich mit dem wirklichen Leben konfrontiert. Er
war wieder bei den Fallschirmjägern, wieder bei der SAS, sein Gesicht ein Abbild purer
Erschöpfung, sein Gehirn eine schmerzende Masse, jeder Muskel angespannt.
Als er merkte, dass er schon wieder anfing zu abstrahieren, stemmte er beide Hände gegen die
Wand, als sollte er gefilzt werden. Sammy war irgendwo in der Hand eines Wahnsinnigen, und er
erging sich in Elogen, Ausflüchten und Vergleichen. Das reichte nicht.
Im Flur hielt Gill ein wachsames Auge auf William Anderson. Ihm hatte man ebenfalls geraten, nach
Hause zu gehen. Ein Arzt, der ihn auf Schock untersucht hatte, hätte ihn am liebsten ins Bett
gepackt und über Nacht dabehalten.
»Ich rühre mich nicht von der Stelle«, hatte Anderson mit ruhiger Entschlossenheit gesagt. »Wenn
das alles etwas mit John Rebus zu tun hat, dann will ich in der Nähe von John Rebus bleiben. Mit
mir ist alles in Ordnung, ehrlich.« Aber es war gar nichts in Ordnung. Er war benommen, voller
Reue und überhaupt etwas durcheinander. »Ich kann es nicht glauben«, erklärte er Gill. »Ich kann
nicht glauben, dass diese ganze Sache nur ein Vorspiel für die Entführung von Rebus' Tochter war.
Das ist absolut verrückt. Der Mann muss völlig gestört sein. John muss doch zumindest eine Ahnung
haben, wer das sein könnte.«
Das fragte sich Gill Templer auch.
»Warum hat er uns nichts gesagt?«, fuhr Anderson fort. Und dann, ohne Vorwarnung und ohne jede
Zurückhaltung wurde er wieder ganz Vater und fing leise an zu schluchzen. »Andy«, sagte er, »mein
Andy.« Er begrub den Kopf in den Händen und gestattete Gill, einen Arm um seine verknitterten
Schultern zu legen.
John Rebus beobachtete, wie die Dunkelheit hereinbrach, und dachte über seine Ehe nach, über
seine Tochter. Seine Tochter Sammy.
Für die, die zwischen den Zeiten lesen können.
Was war es, was er verdrängte? Was war es, was er vor vielen Jahren aus seinem Gedächtnis
gestrichen hatte, als er an der Küste von Fife entlangspazierte, nachdem er den letzten Anfall
nach seinem Nervenzusammenbruch gehabt hatte und die Tür zur Vergangenheit so fest schloss, als
würde er sie einem Zeugen Jehovas vor der Nase zuknallen? Aber es war nicht so einfach. Der
unerwünschte Besucher hatte den richtigen Zeitpunkt abgewartet und beschlossen, erneut in Rebus'
Leben einzudringen. Den Fuß in der Tür. Der Tür zur Erkenntnis. Was brachte ihm seine ganze
Leserei jetzt? Oder sein Glaube, schwach wie er war? Samantha. Sammy, seine Tochter. Lieber Gott,
lass sie in Sicherheit sein. Lieber Gott, lass sie leben.
John, du musst wissen, wer es ist.
Aber er hatte den Kopf geschüttelt, hatte die Tränen in die Falten seiner Hose tropfen lassen. Er
wusste es nicht, er wusste es nicht. Es war Mister Knoten. Es war Mister Kreuz. Die Namen sagten
ihm nichts. Knoten und Kreuze. Man hatte ihm Knoten und Kreuze geschickt, Stücke Schnur und
Streichhölzer und eine Menge Blödsinn, wie Jack Morton es genannt hatte. Das

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