Verborgene Sehnsucht
seinen Schultern leichter wurde. Als hätte ihn ein Engel berührt, der Mitleid gehabt und seine Bürde von ihm genommen hatte, wenn auch nur für eine Minute. Der sorgenfreie Moment brachte ihn zurück in die Realität, und als Myst sein Lächeln erwiderte und Licht in seine Dunkelheit trug, übermannte ihn der Drang, sie zu warnen.
»Myst«, sagte er, und aus dem Glücksgefühl wurde Ernsthaftigkeit. »Dein Gefährte tut recht daran, mir nicht zu trauen.«
»Das mag sein. Aber du und ich, wir beide kennen die Wahrheit.«
Sein Blick verengte sich. »Und die wäre?«
»Ich weiß, dass du kein fieser Kerl bist …« Sie hielt inne, um ihn mit ihrem veilchenblauen Blick zu durchbohren. »… und du weißt es auch. Bastian will dir nichts Böses, Forge. Schließ Frieden mit ihm. Sonst bleibst du hier eingesperrt, ohne Kontakt zu deinem Sohn und zur Außenwelt.«
Mhm. Welch schöne Rede. Zu dumm, dass er so etwas schon tausendmal gehört hatte. Und nicht noch einmal darau f hereinfallen wollte. »Du kannst mir nicht helfen, Kleine.«
»Das heißt nicht, dass ich es nicht versuche.«
Wunderbar. Genau, was er brauchte … eine Frau mit einer Mission. Verdammt. Entschlossen konnte er wohl mit auf die Liste ihrer Qualitäten setzen. Auch wenn starrköpfig vielleicht das passendere Wort wäre. Ja, ganz sicher. Es gefiel ihm jedenfalls besser, und als er …
Türangeln quietschten, und ein metallisches Klicken ertönte.
»Mylady?« Dringlichkeit verlieh dem britischen Akzent, der durch den Flur hallte, Schärfe.
Myst hielt seinen Sohn noch immer fest im Arm und fuhr zum Ausgang herum. »Was ist los, Daimler?«
»Oh, Gott sei Dank … ich habe Sie gefunden.« Der männliche Numbai – ein Mitglied der Dienerkaste des Drachenblutes – tänzelte mit wehenden Frackschößen heran. Mit einer gezierten Bewegung blieb Daimler vor seiner Herrin stehen, die spitzen Ohren unter dem im Nacken zusammengefassten Haar deutlich sichtbar. »Master Rikar braucht Sie, Mylady. Er wird gleich mit einer verletzten Frau hier eintreffen und … «
»Angela?«, fragte Forge.
Der Blick des Numbais zuckte kurz zu ihm hinüber, bevor er sich wieder auf seine Herrin richtete. Als er den Mund öffnete, um zu antworten, unterbrach ihn Myst. »Wie schwer ist sie verletzt? Ich brauche Details, Daimler. Und wann genau kommen sie an?«
»Ich weiß es nicht. Und ich schätze in zehn Minuten, Mylady«, beantwortete Daimler die beiden Fragen wie aus der Pistole geschossen. »Master Sloan ist bereits in der Klinik und bereitet die Notaufnahme vor.«
»Kann ich helfen?« Schon während er die Worte aussprach, fühlte Forge sich wie ein Idiot. Was zum Teufel tat er da? Wollte er ihnen tatsächlich zur Hand gehen? Den Helden spielen? Himmel, er brauchte einen Gehirn-Scan. Ja, das und einen anständigen Tritt in den Arsch, damit er wieder zu sich kam. Aber noch als er sich befahl, den Mund zu halten, öffneten sich seine Lippen und wie der letzte Volltrottel zog er sich selbst noch ein wenig tiefer in die Sache hinein. »Ich bin ausgebildeter Rettungssanitäter.«
Daimler blieb der Mund offen stehen, als er sein Angebot hörte.
Myst war nicht überrascht.
»Ich hab’s dir doch gesagt«, sagte sie feixend. »Wenn du so weitermachst, Forge, mache ich noch einen anständigen Kerl aus dir.«
»Verdammte Hölle.« Forge wollte sie anknurren … er wollte es wirklich. Stattdessen stand er nur stocksteif da, mit geballten Fäusten und brennendem Herzen, während sie zum Kinderwagen ging und seinen Sohn hineinlegte. Aus den Augen, aber niemals aus dem Sinn. »Myst, könntest du …«
»Nein«, sagte sie scharf. Ihre Miene war ernst. »Spiel alle Spielchen, die du möchtest, aber nicht mit mir. Du willst hier raus? Du willst mehr Zeit mit deinem Sohn? Dann schalte dein Gehirn ein und schließ Frieden mit Bastian. Sonst bleibst du genau da, wo du bist. Und zwar für eine sehr lange Zeit.«
Ein Ultimatum mit Zähnen. Tödlich und ach … so … verlockend.
Konnte es wirklich so einfach sein? Ein Knie beugen, den Kopf senken, dem Nightfury-Clan Treue geloben und … Zack! Sofortige Akzeptanz?
Forge schüttelte den Kopf. Nie im Leben. So einfach war es nie. Der heutige Besuch. Mysts Warnung. All das roch nach Verschwörung, nach einer Taktik, die so war wie die Zeit selbst. Zeig dem Gefangenen etwas, das er haben möchte – für das er töten würde – und dann nimm es ihm weg, wenn er nicht tut, was du verlangst. Bastian wollte Informationen über die
Weitere Kostenlose Bücher