Verbotene Früchte im Frühling
für ihr graues Federkleid, ihren muskulösen Hals und den scharfen orangefarbenen Schnabel bekannt war.
„Armes Ding“, sagte Daisy, als sie sah, dass das Bein des Vogels an etwas festgebunden war. Während sie näher ging, stürmte die aggressive Gans vor, als wollte sie angreifen. Doch dann wurde das Tier von irgendetwas an seinem Bein abrupt zurückgerissen. Daisy blieb stehen und legte ihre Angelutensilien auf den Boden. „Ich will mich bemühen, dir zu helfen“, erklärte sie dem gereizten Vogel. „Aber ein solches Verhalten wirkt etwas abschreckend. Wenn du versuchen würdest, deinen Zorn im Zaum zu halten …“ Sie ging langsam weiter und versuchte, die Ursache des Problems zu ergründen. „Oje“, sagte sie. „Diese kleinen Schlingel – du solltest für sie fischen, nicht wahr?“
Die Gans schrie zustimmend.
Ein Stück Angelschnur war um das Bein der Gans gewickelt und führte von da zu einem kleinen Löffel, in dessen Ausbuchtung ein Loch gebohrt worden war. In dem Loch steckte ein Angelhaken. Hätte ihr die missbrauchte Gans nicht so leidgetan, Daisy hätte gelacht.
Die Idee war geradezu genial. Wenn man die Gans ins Wasser warf, sodass sie zurückschwimmen musste, würde der kleine Löffel wie eine Elritze im Wasser funkeln. Ließ sich eine neugierige Forelle davon anlocken, würde sie am Haken hängen bleiben und von der Gans ans Ufer geholt werden. Aber der Löffel hatte sich an einem Gebüsch verfangen und hielt die Gans fest.
Mit sanfter Stimme sprach Daisy weiter und ging dabei ganz langsam auf das Gebüsch zu. Der Vogel stand wie erstarrt und sah sie aus seinem perlschwarzen Auge an.
„Ja, so ein braves Tier“, sagte Daisy beruhigend und streckte sehr vorsichtig den Arm nach der Schnur aus.
„Himmel, bist du groß. Wenn du nur einen Moment länger Geduld hast, dann – au!“ Plötzlich war die Gans nach vorn gestürmt und hatte sie mit einem Hieb ihres harten Schnabels am Arm getroffen.
Während sie zurückwich, warf Daisy einen Blick auf die Stelle an ihrem Arm, die rot zu werden begann. Sie warf einen wütenden Blick auf die Gans. „Du undankbares Geschöpf! Allein deswegen sollte ich dich einfach so hierlassen!“
Während sie sich den Arm rieb, überlegte Daisy, ob es ihr vielleicht gelingen könnte, mit ihrer eigenen Angelrute die Schnur von dem Busch zu befreien. Aber das beantwortete immer noch nicht die Frage, wie sie den Löffel vom Bein des Tiers lösen sollte. Sie würde zurück ins Haus gehen und jemanden zur Hilfe holen müssen.
Als sie sich bückte, um ihre Angelgerätschaften aufzuheben, hörte sie einen unerwarteten Laut. Jemand pfiff eine seltsam vertraute Melodie. Daisy hörte aufmerksam zu und erkannte das Lied. Es war in New York gerade populär gewesen, ehe sie abreiste. Es hieß: „The End Of A Perfect Day“.
Vom Fluss her kam jemand auf sie zu. Ein Mann in durchweichter Kleidung, der ein Fischernetz und einen alten Hut mit breiter Krempe trug. Dazu war er in eine Tweedjacke und eine grobe Hose gekleidet, die Garderobe eines Sportsmannes, und es war unmöglich zu übersehen, wie sich unter dem nassen Stoff die sehnigen Konturen seines Körpers abzeichneten. Daisys Puls begann zu rasen, als sie ihn erkannte.
Bei ihrem Anblick hörte er abrupt auf zu pfeifen. Seine Augen waren blauer als der Himmel oder das Wasser und schienen in seinem gebräunten Gesicht zu leuchten. Als er höflich den Hut zog, zauberte das Sonnenlicht einen mahagonifarbenen Glanz in seine dunklen Locken.
„Verdammt“, sagte Daisy leise zu sich selbst. Nicht nur, weil er der letzte Mensch war, den sie im Moment sehen wollte, sondern auch, weil sie zugeben musste, dass Matthew Swift außerordentlich gut aussah. Sie wollte ihn nicht so anziehend finden. Und sie wollte auch nicht diese Neugier ihm gegenüber empfinden, diesen Wunsch, seine Geheimnisse, Freuden und Ängste herauszufinden. Warum nur hatte er sie früher nie interessiert? Vielleicht war sie zu unreif dafür gewesen. Vielleicht hatte nicht er sich verändert, sondern sie sich.
Vorsichtig näherte Swift sich ihr. „Miss Bowman.“
„Guten Morgen, Mr. Swift. Warum angeln Sie nicht mit den anderen?“
„Mein Kescher ist voll. Und ich hatte so viel mehr Erfolg als alle anderen, dass ich sie nur in Verlegenheit gebracht hätte, wenn ich weitergemacht hätte.“
„Wie bescheiden Sie sind“, meinte Daisy spöttisch. „Wo ist Ihre Angelrute?“
„Westcliff hat sie.“
„Warum das?“
Swift stellte den Kescher
Weitere Kostenlose Bücher