Verbotene Früchte im Frühling
zu einem ganzen Satz.
Meine Mutter ließ für Vater eine Weste mit fünf Knöpfen anfertigen.
Einen mit einer Windmühle, einen mit einem Baum, einen mit einer Brücke – von jedem der Kinder nahm sie eine Haarlocke und legte sie in den Knopf. Ich erinnere mich, wie sie am Hinterkopf eine kleine Strähne abschnitt, wo es niemand sehen konnte.“
Ohne sie anzusehen, griff Swift nach dem Inhalt seiner Taschen und räumte ein Stück nach dem anderen wieder ein.
Die Stille dauerte an, und Daisy wartete vergeblich auf eine Erklärung. Schließlich legte sie ihm die Hand auf den Arm. Er hielt inne und betrachtete ihre Finger.
„Woher haben Sie ihn?“, flüsterte sie.
Swift sagte so lange nichts, dass sie schon glaubte, er würde überhaupt nicht antworten.
Schließlich sprach er und klang dabei so bedrückt, dass es ihr das Herz zerriss. „Ihr Vater trug die Weste in den Geschäftsräumen der Firma. Sie wurde sehr bewundert. Aber später am Tag hatte er einen Wutanfall. Als dabei ein Tintenfass umfiel, spritzte ein Teil davon auf ihn, und die Weste war ruiniert. Um damit nicht vor die Augen Ihrer Mutter treten zu müssen, gab er mir das Kleidungsstück mitsamt den Knöpfen und sagte, ich solle es vernichten.“
„Aber einen Knopf haben Sie behalten.“ Sie vermochte kaum noch zu atmen, und ihr Herz schlug wie rasend. „Die Mühle. Das war meiner. Haben Sie … haben Sie all die Jahre meine Haarlocke bei sich getragen?“
Wieder entstand Schweigen. Die Antwort würde Daisy nie erfahren, denn in dem Moment war Annabeiles Stimme zu hören, die durch den Gang hallte: „Daisy!“
Den Knopf noch immer fest in der Hand, richtete Daisy sich auf. Swift erhob sich mit einer einzigen Bewegung, half ihr zuerst beim Aufstehen und hielt sie dann am Handgelenk fest. Er schob seine Hand unter ihre und sah sie auffordernd an.
Sie begriff, dass er den Knopf zurückhaben wollte, und lachte ungläubig.
„Er gehört mir“, widersprach sie. Nicht, weil sie den Knopf unbedingt besitzen wollte, sondern weil es ein seltsames Gefühl war, dass er dieses kleine Ding, diesen Teil von ihr, all die Jahre bei sich getragen hatte. Ein bisschen fürchtete sie sich vor dem, was das bedeuten konnte.
Swift regte sich nicht und sagte auch kein Wort. Er wartete nur geduldig, bis Daisy die Finger öffnete und den Knopf in seine Hand fallen ließ. Dann schob er ihn zurück in seine Tasche und ließ sie los.
Noch ein wenig verwirrt eilte Daisy zum Schlafgemach ihrer Schwester. Als sie das Weinen eines Babys hörte, erfüllte Freude ihr Herz. Es waren nur ein paar Schritte bis zur Tür, und doch schienen es Meilen zu sein.
Annabelle kam ihr an der Tür entgegen. Sie sah müde und erschöpft aus, doch auf ihrem Gesicht lag ein strahlendes Lächeln. Und auf dem Arm hielt sie ein kleines Bündel, in Leinen und saubere Tücher gehüllt. Daisy presste ihre Hand vor den Mund und schüttelte ein wenig den Kopf. Sie lachte, und gleichzeitig brannten ihr die Tränen in den Augen. „Oh!“, sagte sie und betrachtete das rotgesichtige Baby, die großen dunklen Augen und das dichte schwarze Haar.
„Sag Guten Tag zu deiner Nichte!“, sagte Annabelle und hielt ihr behutsam das Neugeborene entgegen.
Vorsichtig nahm Daisy das Bündel und staunte darüber, wie leicht es war. „Meine Schwester …“
„Lillian geht es gut“, erwiderte Annabelle sofort. „Sie hat es sehr gut gemacht.“
Mit dem Baby auf dem Arm trat Daisy ins Zimmer. Lillian lehnte mit geschlossenen Augen in den Kissen. Sie wirkte sehr klein in dem großen Bett, und man hatte ihr das Haar wie bei einem kleinen Mädchen zu zwei Zöpfen geflochten. Westcliff stand neben ihr und sah aus, als hätte er ganz allein die Schlacht bei Waterloo gewonnen.
Der Veterinär stand am Waschtisch und seifte sich die Hände ein. Er lächelte Daisy freundlich zu, und sie lächelte zurück. „Herzlichen Glückwunsch, Mr. Merritt“, sagte sie. „Mir scheint, Sie haben Ihrem Erfahrungsschatz eine neue Spezies hinzugefügt.“
Beim Klang ihrer Stimme bewegte sich Lillian. „Daisy?“
Mit dem Baby auf dem Arm ging Daisy zu ihr. „O Lillian, sie ist das Schönste, was ich je gesehen habe.“
Ihre Schwester lächelte etwas schief. „Das glaube ich auch. Würdest du …“ Sie gähnte. „Würdest du sie Mama und Papa zeigen?“
„Ja, natürlich. Wie heißt sie?“
„Merritt.“
„Du benennst sie nach dem Veterinär?“
„Er erwies sich als sehr hilfreich“, erwiderte Lillian. „Und
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