Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte
Sie schlug die Augen auf, obwohl er sah, dass sie noch ganz schlaftrunken war.
„Santos?“
„Ja, Lily. Ich bin’s.“
Sie blinzelte und wurde wacher. „Ich hab’s schon wieder getan, was?“
„Bei dem Tempo wirst du mit dem Buch nie fertig“, neckte er lächelnd.
„Alt werden ist abscheulich.“ Sie blinzelte zur Uhr. „Wie spät ist es?“
„Nach eins.“
„Wie war deine Verabredung?“
„Schön.“ Nach einem Moment fügte er sanft hinzu: „Sehr schön.“
Sie rückte zur Seite und klopfte mit der Hand auf die Bettkante. „Erzähl mir von ihr.“
Er setzte sich lächelnd und richtete sich auf ein bohrendes Verhör ein. Sie hatten das schon viele Male durchexerziert. „Sie ist sehr nett, sehr klug. Sie besitzt ein kleines Restaurant mit Bar im Quarter.“
„Ist sie attraktiv?“
„Sehr.“ Er fuhr sich amüsiert mit dem Zeigefinger am Nasenflügel entlang. „Tatsächlich kenne ich sie von früher.“
Lily quittierte das nickend, ohne zu fragen, woher. Dafür war er ihr dankbar. „Das kann von Vorteil sein“, meinte sie leise. „Hast du vor, sie wieder zu sehen?“
„Ich glaube, ja. Doch, bestimmt.“
„Gut.“ Sie faltete die Hände vor sich. „Du arbeitest zu viel. Du brauchst jemand.“
„Ich habe dich.“
„Ich bin alt und krank. Du brauchst einen Partner.“
Er erwiderte grinsend: „Ich habe Jackson.“
„Eine Partnerin, eine Lebenspartnerin!“ Seine offensichtliche Belustigung wurmte sie. „Ich möchte, dass du glücklich wirst. Ich möchte nicht, dass du einsam bist.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie senkte rasch den Blick. „Der Herr hat nicht gewollt, dass wir einsam sind. Deshalb hat er Adam Eva an die Seite gestellt.“
Santos küsste sie auf die Stirn. „Mach dir um mich keine Gedanken, Lily. Mir geht es gut. Ich bin glücklich.“
Als er zurückwich, sah sie ihn zweifelnd an. „Bist du das, Santos? Bist du glücklich?“
Er verstand ihre Frage. Sie hatte genauso wenig vergessen wie er, dass er vor langer Zeit einmal geglaubt hatte, seine Liebe, seine Lebenspartnerin gefunden zu haben. Und er wusste auch, dass sie sich eine Mitschuld gab an seinem gebrochenen Herzen.
„Ja, ich bin sehr glücklich.“ Er zog ihr die Bettdecke zurecht und löschte die Nachttischlampe. „Und jetzt schlaf“, flüsterte er, „sonst schaffst du es morgen nicht rechtzeitig zur Messe.“ Er ging zur Tür, blieb jedoch noch einmal stehen. „Ich bin da, falls du mich brauchst.“
„Santos?“
„Hm?“
„Ich habe gehört, dieser Mann hat wieder ein Mädchen umgebracht. Es tut mir Leid.“
„Mir auch, Lily. Aber wir werden ihn kriegen. Es ist nur eine Frage der Zeit.“
„Ich weiß, du kriegst ihn“, murmelte sie, und die Augen fielen ihr zu. „Ich habe völliges Vertrauen … in … dich.“
Sie schloss die Augen und schlief bereits. Santos betrachtete sie noch einen Moment liebevoll. Er lebte weiterhin bei Lily, weil sie ihn brauchte und weil es ihn beruhigte, sie jeden Morgen aufstehen und jeden Abend friedlich einschlafen zu sehen.
Doch er wusste, er würde sie letztlich verlieren, gleichgültig, wie sehr er sie beschützte und bewachte. Eines Tages in nicht mehr allzu ferner Zukunft würde sie gehen. Er spürte einen Kloß im Hals und atmete tief durch, um seiner Rührung Herr zu werden. Er sollte sich auf jenen Tag vorbereiten, doch er wusste nicht, wie. Wie sollte er sich auf etwas vorbereiten, das er sich nicht mal vorstellen konnte? Ein Leben ohne Lily? Er würde einsam und am Boden zerstört sein.
Schließlich riss er den Blick von ihr los und ging. Schlafen konnte er jetzt nicht, das wusste er. Deshalb entschied er, ins Präsidium zu fahren, um zu hören, ob es etwas Neues zum letzten Fall gab. Er musste etwas übersehen haben, irgendetwas.
40. KAPITEL
Das Telefon weckte Glory aus tiefem, traumlosem Schlaf. Heftig atmend, richtete sie sich kerzengerade auf und griff nach dem Hörer. „Ja? Glory St. Germaine?“
Es war der stellvertretende Hotelmanager, ein leicht erregbarer Mann. So wie er brabbelte, konnte Glory ihn kaum verstehen. „Was?“ Sie rieb sich mit einer Hand übers Gesicht. „Immer langsam, Vincent. Ich verstehe nicht …“ Doch plötzlich begriff sie, was er sagte, und war hellwach.
Der Schneewittchen-Killer hat wieder zugeschlagen!
Und diesmal hatte er den Leichnam auf dem Parkdeck des Hotels abgelegt.
Glory sprang fluchend aus dem Bett. „Bleiben Sie ruhig, Vincent. Und reden Sie nicht, ich wiederhole,
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