Verbotene Sehnsucht
auf junge Mädchen abgesehen hat. Ich hoffe sehr, dass Sie Ihre diesbezüglichen Geschäfte hier und heute ruhen lassen.«
Lord Bradford erstarrte, Thomas desgleichen, während Missy einen Lachanfall nur mühsam mit einem wenig überzeugenden Hustenanfall überspielte. Noch nie in all den Jahren zuvor war sie Zeugin einer solchen Zurückweisung geworden. Im Gegenteil. Die meisten Damen überschlugen sich fast, um die Aufmerksamkeit und Zuneigung ihres Bruders zu gewinnen. Aber dies war wirklich ein höchst erfreuliches Erlebnis. Wer hätte sich je vorstellen können, dass ein achtzehnjähriges Mädchen so viel Selbstbewusstsein und eine solche Portion Unverfrorenheit an den Tag legte?
» Amelia, du wirst dich sofort bei Lord Armstrong entschuldigen«, stieß Bradford hervor, nachdem er sich von seinem Schock erholt hatte.
Sie schaute Thomas direkt an. » Ich sehe es Ihnen nach, Mylord, dass Sie es für nötig hielten, mich anzulügen«, sagte sie, ohne mit der Wimper zu zucken. » Mein Vater pflegt sich nämlich niemals in der Öffentlichkeit lobend über mich zu äußern. Aber da Sie das womöglich gar nicht wissen, ist Ihre Lüge verzeihlich. Ich hingegen habe meine Worte ernst gemeint. Das war unhöflich, und dafür möchte ich mich aufrichtig entschuldigen. Leider darf man in der Gesellschaft nicht alles sagen, selbst wenn es der Wahrheit entspricht.«
Erneut musste Missy ein Gelächter unterdrücken. Dieses Mädchen war köstlich. Thomas hingegen schien völlig perplex zu sein und der Vater peinlich berührt. Er sah aus, als würde er am liebsten im Boden versinken.
» Papa, ich denke, ich habe mich ausreichend entschuldigt. Gibt es noch weitere Gentlemen, denen du mich vorstellen möchtest?« Sie befand sich mit ihrem Vater beinahe auf Augenhöhe, war also größer als die meisten Frauen und wirkte überdies mit ihrer stolzen Haltung irgendwie majestätisch.
Der Sarkasmus ihrer Worte ließ sich nicht überhören, und verlegen drängte Lord Bradford sie weg, bevor ihr die nächste höflich vorgetragene Beleidigung über die Lippen kommen konnte.
Missy, die Hand schützend vor dem Mund, schielte hinauf zu ihrem Bruder. Der biss die Zähne so fest zusammen, dass sie meinte, es knirschen zu hören, und seine Augen waren zu Schlitzen verengt.
Ganz langsam drehte er den Kopf zu ihr und musterte sie durchdringend, und sie begriff, was es hieß, jemanden mit Blicken töten zu wollen.
» Schau mich nicht so an– schließlich laufe ich nicht in der Stadt herum und verbreite Gerüchte über dich.« Missy hielt es für besser, die Diskussion an dieser Stelle abzubrechen und sich die spöttischen Bemerkungen zu verkneifen, die ihr auf den Lippen lagen. » Also hör bitte auf, mich anzusehen, als würdest du mich am liebsten einen Kopf kürzer machen.« Wieder brach sie in kaum unterdrücktes Gelächter aus.
» Ich würde dir raten, nach einer liebenswürdigeren Gesellschaft Ausschau zu halten– falls du weißt, was gut für dich ist«, fügte sie hinzu.
Lady Amelia Bertram war es gelungen, ihren Bruder sprachlos zu machen, eine absolute Seltenheit. Sie warf Thomas einen spöttischen Blick zu. » Wirklich eine ganz bezaubernde junge Frau. Bitte sorge doch dafür, dass Lord Bradford sie demnächst einmal zum Tee mitbringt.«
Dann bahnte sie sich schnell den Weg durch den Saal, immer noch in sich hineinlachend.
Allerdings verging ihre gute Laune bei dem Anblick, der sich ihr plötzlich bot. Neben einer griechischen, mit Efeu umrankten Säule entdeckte sie James und Lady Victoria, die in eine Unterhaltung vertieft waren, der man keine Spur von Feindseligkeit anmerkte, wie man es nach dem denkwürdigen Ende ihrer Beziehung vermutet hätte. Um aufrichtig zu sein, wunderte es Missy ein wenig, dass Victoria überhaupt anwesend war, obwohl Gerüchte über ihren Zustand in den Salons bereits die Runde machten und manch einer sie jetzt, da kein Ehekandidat mehr bereitstand, mied. Auch wenn Missy sich über all das im Klaren war, vermochte sie nichts gegen die nagende Eifersucht auszurichten, die in ihr beim Anblick der beiden aufstieg– besonders als James’ dunkler Haarschopf sich aufmerksam seiner Gesprächspartnerin zuneigte.
Missy machte abrupt kehrt und eilte zur anderen Seite des Ballsaals.
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N un, was haben Sie jetzt vor?« James blickte Lady Victoria ins Gesicht und konnte kaum glauben, dass er es mit derselben Frau zu tun hatte, die er in den vergangenen Jahren gekannt hatte. Sie strahlte eine innere
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