Verbotene Sehnsucht
Familienvermögen durch geschickte Investitionen und Beteiligungen zu sanieren und zu vermehren.
Überhaupt war Granville bei Männern wie Frauen außerordentlich beliebt, nicht nur wegen seines gesellschaftlichen Ranges. Warum auch nicht? Er war freundlich, gut aussehend und intelligent, obwohl bisweilen etwas zurückhaltend. Wobei Letzteres nicht unbedingt ein Fehler sein musste.
Es war nur, dass… Sofort verbot James es sich, diesen Gedanken zu Ende zu führen. Warum sich unnötig quälen.
» Oh, da ist er ja«, meinte Armstrong und lenkte die Aufmerksamkeit auf das hintere Ende des Raumes.
James folgte dem Blick seines Freundes und entdeckte Granville in einem dichten Gedränge von Ballschönheiten, die heftig mit ihren Tanzkarten winkten. Sein dunkler Haarschopf hob sich gut sichtbar über die Menge hinaus.
In diesem Moment tanzte Missy genau in sein Blickfeld und fegte jeglichen Gedanken an den jungen Earl unverzüglich aus seinem Hirn. Gegen seinen Willen– und gegen den letzten Rest gesunden Menschenverstands, der ihm noch geblieben war– ließ er es zu, dass ihre faszinierenden Reize seine Aufmerksamkeit wieder gefangen nahmen, und er spürte, wie die Gefahr aufs Neue herankroch.
Das Haar, locker auf dem Kopf zusammengebunden, sodass einzelne ihrer braunen Locken sich scheinbar unbeabsichtigt herausgelöst hatten, um sich anmutig im Nacken und auf den Schultern zu kringeln, schimmerte sanft im Licht der zahllosen Kerzen, ganz anders als die pomadig steifen, kunstvoll aufgetürmten Frisuren der meisten anderen Ladys. Sie trug ein ärmelloses blassblaues Kleid mit einem Mieder, das sich eng an ihren schlanken Körper schmiegte, und der großzügige Ausschnitt gewährte einen verlockenden Blick auf ihre cremefarbene, porzellanzarte Haut. Kurz, sie sah wundervoll aus. Die unverhohlen bewundernden Blicke in ihre Richtung bewiesen, dass er nicht der einzige Mann war, der von ihrem Anblick hingerissen war und ihr ausgiebig Aufmerksamkeit zollte. Wie eine Meute Jagdhunde schlichen sie um die Beute herum und behielten sie fest im Blick, um im passenden Moment zuschnappen zu können.
Allerdings war es den meisten männlichen Gästen nicht vergönnt, sich lange an diesem Bild zu ergötzen, denn kaum aufgetaucht sahen sie sich auch schon umringt von schnatternden Müttern und ihren debütierenden Töchtern. Genau das und nichts anderes fürchtete James am meisten bei solchen Anlässen: Alles war so vulgär, so offensichtlich und ohne jede Spur von Raffinesse.
Lady Stanton unternahm es als Erste, ihn mit ihren beiden mehr als unscheinbaren Töchtern, deren Namen er sofort wieder vergaß, zu belagern. Auch dem molligen, blässlichen Mädchen, das Lady Randall hinter sich herzerrte und als ihre Nichte Miss Margaret Crawford vorstellte, erging es nicht besser. Offensichtlich eingeschüchtert durch die drei gut aussehenden Freunde blickte das arme Kind nur noch verlegen auf das glänzend polierte Parkett des Fußbodens.
Zwischen höflichem Kopfnicken und gespieltem Lächeln suchte James nach einem Fluchtweg. Als heiratsfähiger Gentleman, der zudem einen Titel erwarten durfte, hatte man es gar nicht so einfach, dem Treiben zu entkommen, doch er musste die Flucht ergreifen, bevor das Gedränge noch dichter wurde. Die Viscountess am gegenüberliegenden Ende des Raumes war die perfekte Ausrede für ihn.
» Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen, Ladys, ich würde meine Pflichten vernachlässigen, wenn ich unserer Gastgeberin nicht den gebührenden Respekt erweise.«
Armstrong begriff in Windeseile, dass sich auch ihm eine unauffällige Fluchtmöglichkeit bot, und schloss sich seinem Freund an. Bevor jemand widersprechen konnte, hatten die beiden Männer mit langen Schritten ausreichend Abstand zwischen sich und die wachsende Traube enttäuscht zurückbleibender Frauen gebracht. Nur Cartwright versäumte es, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen und umfasste ergeben den blassen Ellbogen einer der Stanton-Töchter, um die kichernde Miss in den Raum mit den Erfrischungen zu begleiten.
James lächelte. Warum hatte Cartwright ihn auch so mit Missy aufgezogen? Jetzt ereilte ihn die gerechte Strafe.
In seiner Abendgarderobe sah James einfach umwerfend aus. Wie viele der anwesenden Gentlemen hatte er sich für ein weißes Halstuch und einen schwarzen Frack aus feinster Wolle entschieden, dessen Satinkragen und Rockschöße seine breiten Schultern noch mehr betonten, während ein Satinstreifen seitlich an seiner
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