Verbotene Sehnsucht
Schlimm genug, dass er auf ihr kindisches Spiel eingegangen war, aber dann auch noch den Kürzeren zu ziehen! Und am allerschlimmsten fand er, dass er diese Minuten der Leidenschaft und des Sichvergessens nicht mehr aus seinem Kopf brachte, genauso wenig wie die Erkenntnis, dass nahezu sämtliche Männer sich um sie rissen. Allen voran, ermutigt durch Armstrong, Granville. Doch auch andere schienen ganz versessen darauf, mit ihr zu tanzen, zu plaudern, zu lachen… Er durfte nicht daran denken, dass sie alle mit ihrem Lächeln verzauberte und ihnen ihre Aufmerksamkeit schenkte. Es war fast über seine Kräfte gegangen, dabei zuzuschauen. Schmerzhaft sogar. Beunruhigend.
Er betrat den dunklen Raum und zündete die Kerze am Bett an. Mehr Licht brauchte er nicht. Rasch begann er, seine Abendgarderobe abzulegen: Lustlos warf er Frack, Weste und Hemd über den gepolsterten Brokatstuhl, dessen Bezug offensichtlich erst kürzlich erneuert worden war. Trotz des Feuers im Kamin lag ein frostiger Winterhauch in der Luft. Als er sich daranmachte, den Verschluss seiner Hose zu öffnen, überkam ihn ein merkwürdiges Gefühl, eine unbezwingbare Ahnung. Die feinen Härchen in seinem Nacken stellten sich auf– er hatte eindeutig das Gefühl, beobachtet zu werden. Kein Zweifel, er war nicht allein im Zimmer. Abrupt drehte er den Kopf und versuchte im schwachen Licht der Kerze etwas zu erkennen.
Dann sah er sie. Vollkommen still und reglos stand sie in einer Ecke, fast unsichtbar in den tiefen Schatten.
Verwirrt und fassungslos schaute er zu, als sie vortrat. Die kastanienbraune Haarfülle hing ihr lose über den Rücken. James schluckte. In ihrem hauchdünnen weißen Nachthemd hätte sie auch als Engel durchgehen können, doch er wusste es besser. Für ihn war sie die leibhaftige Versuchung.
Sein Verlangen meldete sich rasch und gewaltig, brodelte in ihm wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Trotz der kühlen Luft war ihm plötzlich so heiß, als ob alle Fasern seines Körpers dagegen rebellierten, eingesperrt zu sein– eingezwängt in die Hülle der Haut.
» Geh raus«, befahl er mit bemerkenswert weicher Stimme. Er konnte kaum atmen, hatte das Gefühl, dass die Luft zum Schneiden dick war.
Anstatt ihm zu gehorchen, trat Missy mehrere Schritte vor. Der Kerzenschein tauchte sie in ein warmes Licht. Wieder musste James schlucken, sein heftiger Atem durchbrach heiser die Stille der Nacht.
» Ich weiß, dass du etwas gespürt hast, als du mich heute Nacht geküsst hast«, meinte sie leise.
James hätte beinahe laut aufgestöhnt, davon überzeugt, dass nur sein ärgster Feind sie geschickt haben konnte, um ihn zu foltern.
» Ja, und ich glaube, du hast es auch gespürt«, erwiderte er harsch.
Sie ließ nicht die geringste Überraschung oder Verlegenheit erkennen, als er darauf anspielte, wie hart er sie unten im Herrensalon an sich gepresst hatte. Im Gegenteil: Ihre Augen, die im Moment eher grau als blau aussahen, schimmerten rauchig, und die Lider wirkten schwer vor Verlangen. Ihr Blick fiel erst auf seine Brust und dann auf die unmissverständliche Wölbung seiner Hose.
James konnte nicht ausweichen. Er war gefangen, befand sich im Käfig wie ein gefräßiger Löwe, der draußen gerade die nächste Mahlzeit vorbeilaufen sieht.
» Du bist sehr schön, und ich bin ein ganz normaler Mann. Es ist schlicht und einfach Lust. Mehr solltest du nicht daraus machen. Und wie ich dir bereits erklärt habe, würde jede begehrenswerte Frau die gleiche Reaktion hervorrufen.«
Wieder schwieg sie und trat einen Schritt vor. Die Kerze beleuchtete ihre schlanke Gestalt jetzt von Kopf bis Fuß, und unter dem dünnen weißen Stoff malte sich unanständig viel von ihrem Busen ab.
Er bebte. Innerlich, äußerlich, am ganzen Körper.
» Geh zurück in dein Zimmer«, brachte er mühsam und kaum verständlich hervor.
Missy trat einen weiteren Schritt vor, war jetzt nur noch eine Handbreit von ihm entfernt.
» Es ist mehr als Lust.« Es klang wie ein federleichtes Wispern. Langsam fuhr sie mit dem Finger über seine stopplige Wange und den kantigen Kiefer.
James zog die Luft hart und stoßweise ein, rührte sich aber nicht von der Stelle. Eine plötzlich aufschießende Welle der Sehnsucht und des Verlangens überflutete ihn. Nur eine einzige Bewegung, fürchtete er, und er würde zerbrechen, seine Beherrschung unrettbar verlieren.
Ihm war, als ob die Zeit stehen blieb, während er zuschaute, wie sie sich auf die Zehenspitzen stellte, den
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