Verbotene Sehnsucht
Verantwortung für ihr Unglück trug. War ihm überhaupt klar, dass er beziehungsweise sein Pferd, das in vollem Galopp in eine schmutzige Pfütze getreten war, nicht nur ihr Kleid ruiniert, sondern sie vor dem einzigen Mann blamiert hatte, an dessen Meinung ihr etwas lag, dem sie sich von ihrer besten Seite zeigen wollte?
Sie beobachtete, wie James sich näherte. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, ihr Puls raste.
» Guten Tag, Ladys.« Er tippte sich an den Hut, brauner Filz mit hoher Krone, und verbeugte sich leicht, beinahe beiläufig. Obwohl sein Gruß beiden jungen Damen galt, blieb sein Blick unweigerlich an Missys Kleidung hängen. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln umspielte seinen Mund. Verdammter Kerl.
Beatrice machte einen tiefen Knicks und murmelte einen Gruß, bevor sie sich wieder an Missys Kleid zu schaffen machte.
Claire hatte sich mittlerweile von ihrem Lachanfall erholt und schenkte James ein amüsiertes Lächeln. » Lord Rutherford. Lady Victoria.«
» Oh, du liebe Güte, das schöne Kleid«, meinte Victoria, nachdem sie den Gruß erwidert hatte. Mitleidig ließ sie den Blick über das verdorbene Stück schweifen. » Es ist ein Jammer. Pferde sollten auf diesen Wegen wirklich verboten werden.«
Alles Mitleid dieser Welt würde nicht ausreichen, die aufschießende Eifersucht angesichts der unerträglichen Gegenwart dieser Frau zu ersticken. War es eigentlich möglich, dass Lady Victoria sich jemals anders als herzlich gab? Kam es jemals vor, dass ihr eine Haarsträhne wirr ins Gesicht fiel? Dieses perfekte Haar, dessen seltener aschblonder Farbton von allen bewundert wurde und um das man sie beneidete. Perfekt war auch ihr Gesicht. Keine störenden Flecken oder Unebenheiten, sondern von makelloser Schönheit und Glätte mit einem wundervollen, cremefarben schimmernden Teint. Und für eine Frau, von der man behauptete, sie sei weder an Männern noch an der Ehe interessiert, schien sie durchaus eine Vorliebe für James zu hegen, denn sie genoss seine Begleitung zweifellos. Ihr James.
» James. Lady Victoria.« Missy nickte knapp und senkte sogleich den Kopf, weil sie hoffte, dass der Schirm ihrer Haube den größten Teil ihres fleckigen Gesichts aus dem Blickfeld rückte– es seinem Blick entzog, um genau zu sein. » Bitte entschuldigen Sie, aber ich fürchte, unter den gegebenen Umständen müssen wir unseren Weg wirklich fortsetzen.«
Ein Dreckspritzer tropfte vom Schirm ihrer Haube, was Missys Wangen nur noch mehr zum Glühen brachte. Sie warf Claire einen eisigen Blick zu und neigte den Kopf nach unten. Nickte, ohne sich aufzurichten, kurz in James’ und Victorias Richtung, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte mit strammem Schritt zum Südeingang des Parks. Claire und Beatrice hatten Mühe, ihr zu folgen.
Sie waren nur ein kleines Stück entfernt, als sein sonores Lachen sie einholte. » Ich nehme an, dass ich dich morgen sehe.« Seine Stimme gab nicht im Geringsten zu erkennen, ob er sich freute oder ob es ihn vor der Begegnung grauste.
Missy blieb stehen, drehte sich aber nicht um, denn seine Gleichmütigkeit streute nur Salz in ihre Wunden. » Ja, ich nehme an, das wirst du«, gab sie zurück, bevor sie ihren Weg fortsetzte.
Nach drei Monaten brauchte es nicht mehr als den Anblick einer dreckbespritzten, verärgerten Missy, um ihn auf der Stelle in einen neuerlichen, äußerst heftigen inneren Aufruhr zu versetzen. Seit der Sekunde, in der er sie dort auf dem Weg neben der Pfütze erspäht hatte, stieg ihm heiß das Blut zu Kopf, rauschte in seinen Ohren, und er spürte, wie sich sein Herzschlag zu verdoppeln schien. Und nachdem sie weg war, kostete es ihn die größte Anstrengung, ihr nicht nachzuschauen, wie sie den Park verließ. Oder ihr hinterherzulaufen.
Aber James unterdrückte diese Regungen, wandte entschlossen den Kopf seiner Begleiterin zu und reichte ihr galant den Arm, um mit ihr raschen Schrittes in die andere Richtung davonzustreben, neugierig beobachtet von Victorias Anstandsdame Miss Fogerty, die hinter ihnen ging.
» Mutter wäre begeistert, wenn Sie den Weg zu uns finden würden«, meinte Victoria.
Davon war James überzeugt. Die Marchioness Cornwall würde nichts lieber sehen, als ihre Tochter mit einem Mitglied des Hochadels verheiratet zu sehen. Es lag auf der Hand, dass sie ihre Blicke zuerst auf den Earl Granville gerichtet hatte, der einer der einflussreichsten Familien mit Nähe zum Königshaus angehörte. Aber sie erkannte rasch, dass es vergeblich
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