Verbotene Sehnsucht
Madame Batistes Laden in der Bond Street stehen. Mit Unterstützung eines Bediensteten kletterten Mutter und Töchter Armstrong nacheinander aus dem schwarzsilbern lackierten Gefährt.
Nach einem ruhigen Vormittag hatte die Viscountess mit Missy zunächst einige Pflichtbesuche absolviert, um dann nach einem kleinen Imbiss zu Hause mit den jüngeren Mädchen zudem schon lange versprochenen Einkaufsausflug aufzubrechen.
Obwohl es schon eine Reihe von Jahren zurücklag, dass Thomas das Vermögen der Familie durch geschickte Investitionen und eine professionelle Finanzverwaltung wieder konsolidieren konnte, betrachteten die Mädchen den Besuch exquisiter Läden noch immer als puren Luxus, denn die Zeiten ohne neueste Mode, ohne feinere Stoffe und bessere Schuhe hatten ihre Spuren hinterlassen.
Was Missy betraf, so hoffte sie vor allem, dass der Ausflug ihr die Gedanken an James aus dem Kopf verscheuchen würde. Wenigstens für eine Weile, denn inzwischen spukte er selbst nachts in ihren Träumen herum. Und tagsüber verbrachte sie viele Stunden damit, sich ins Gedächtnis zurückzurufen, wie köstlich erregend seine Berührungen waren und wie verführerisch seine Haut nach Sandelholz duftete. Allerdings war sie nicht bereit, sich in ihren Erinnerungen zu vergraben und auf erreichbare Genüsse zu verzichten– wie Erdbeereis etwa oder luftiges französisches Gebäck, das es in der Stadt zu kaufen gab.
Sie hegte keinerlei Zweifel, dass er sie körperlich begehrte. Aber sie wollte mehr– brauchte viel mehr als nur das. Sie beanspruchte sein Herz, das ganz und gar und ausschließlich ihr gehören sollte.
Im Laden kam ihnen Madame Batiste, eine große, robuste Frau, die ihre Haarpracht unnatürlich rot gefärbt trug, mit ausgebreiteten Armen entgegen und hieß sie überschwänglich willkommen.
» Bonjour, Lady Armstrong«, grüßte sie mit starkem Akzent.
» Bonjour, Madame Batiste«, erwiderte die Viscountess, die allzu gerne die Gelegenheit wahrnahm, ihr Französisch zu benutzen und aufzupolieren. Zwar galt die Sprache nach wie vor als Muss für jedes Mitglied der Aristokratie, doch war sie als Umgangssprache dieser Kreise längst aus der Mode gekommen.
Die Schneiderin grüßte auch Missy und ihre Schwestern und versicherte ihnen liebenswürdig, dass sie seit ihrem letzten Besuch noch schöner geworden seien, um sie dann sogleich in das kleine Nebengelass zu führen, wo sie Umhänge, Hauben und Handschuhe anprobieren konnten. In Sekundenschnelle wurden die Mädchen bis auf die baumwollene Unterwäsche entkleidet und von Madames englischer Gehilfin vermessen, die viel Aufhebens speziell um Missys schmale Taille machte.
Die nächsten anderthalb Stunden verbrachten sie über Modezeichnungen und suchten Stoffe für Straßen- und Hauskleider aus sowie für Abendroben. Es gab zahlreiche Schnittmuster für Kleider aus Seidenbatist, Seidenmusselin, bedrucktem Musselin und mit Borten verziertem Nankingstoff.
Die Viscountess bestätigte die Auswahl ihrer Töchter mit einem Lächeln oder lehnte sie kopfschüttelnd und stirnrunzelnd ab. Am Ende gab sie zehn Kleider in Auftrag: sechs für Missy und jeweils zwei für Emily und Sarah. Madame Batiste versprach, die einfacheren innerhalb von zwei Tagen zu liefern und die komplizierteren vier Tage später. Nachdem die Mutter den Einkauf mit ihrer Unterschrift besiegelt hatte, liefen die Mädchen aus dem Laden hinaus in die schwindende Nachmittagssonne.
» Als Nächstes gehen wir zur Putzmacherin und dann zum Schuhmacher«, bestimmte die Viscountess und schob ihre Töchter vorwärts, bis sie schließlich vor dem Laden der Hutmacherin stehen blieben.
» Lady Armstrong.«
Alle vier drehten sich um und sahen die untersetzte Marchioness Cornwall. Missy unterdrückte eine Grimasse.
Lady Cornwall strahlte über das ganze Gesicht. Sie trug ein höchst unvorteilhaftes violettes Kleid mit vier Volants, was weder zu ihrem Alter noch zu ihrer Statur passte, und über ihre Hutkreation ließ sich ebenso wenig Gutes sagen. Schlimmeres war Missy noch nicht zu Gesicht gekommen, denn das Stück zierten nicht nur Blumen und dürre Zweige, sondern auch eine lange Straußenfeder, und um die Beleidigung für das Auge komplett zu machen, war es auf jede erdenkliche Weise mit roter Spitze garniert. Rot in allen Schattierungen. Als ob das violette Kleid nicht schon genügend Aufmerksamkeit erregen würde.
Bedachte man diese modischen Verirrungen, so grenzte es schon an ein Wunder, dass sich Victoria
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