Verbotene Sehnsucht
Liebenswürdigkeit.
James’ Blick hing an dem verführerischen Schwung ihrer Lippen, und unaufhaltsam kehrte die Erinnerung an die heißen, leidenschaftlichen Minuten in der dämmrigen Bibliothek zurück, an ihren Körper, an die Liebkosungen, an die überwältigenden Lustgefühle.
Er riss sich los und begegnete Armstrongs eindringlichem Blick. Sein Freund hatte die Augen zusammengekniffen, sah nachdenklich aus. James fragte sich, wie lange Thomas ihn schon beobachtete. Am liebsten hätte er weggeschaut, aber das wäre wie ein Eingeständnis seiner Schuld gewesen. Also zog er lieber wie ein Mann, der nichts zu verbergen hat, die Brauen hoch und grinste den Freund verschwörerisch an, doch das Lächeln auf Armstrongs Gesicht sah irgendwie frustriert aus.
Rasch wandte James sich wieder Sophia zu, die gerade Missy von ihrer Schwester erzählte.
» Ich bin überzeugt, dass Sie viel gemeinsam haben«, meinte Sophia. Missy indes zeigte wenig Begeisterung, die unbekannte junge Dame kennenzulernen, lächelte bloß höflich.
» Missy würde sich sehr freuen«, mischte die Viscountess sich ein und warf ihrer Tochter einen scharfen Blick zu. » Und ich mich auch.«
Es kostete sie viel, ein freundliches Gesicht zu zeigen, denn Enttäuschung und Eifersucht drohten sie beinahe zu ersticken. Am liebsten wäre sie einfach weggerannt, nach oben in ihr Schlafzimmer, um sich dort zu verstecken. Aber diese Blöße durfte sie sich nicht geben.
Sie hasste ihn. Hasste, hasste, hasste ihn. Er war schlimmer als ein Wüstling. Grausam und gewissenlos. Wann würde sie das endlich begreifen? Wie dumm sie doch gewesen war. Und schlimmer noch: Sie hatte nichts dazugelernt, wie Claire ihr ganz richtig vorhielt. Drei Jahre waren bereits vertan, dreimal eine Saison mit dem ganzen kostspieligen Aufwand umsonst, und nichts ließ sich mehr rückgängig machen. Was für eine dumme, unglaublich dumme Person ich doch bin.
Als sie ihr Kleid betrachtete, wurde ihr die Lächerlichkeit der Situation bewusst. All das war umsonst. Der für ihn vergrößerte Ausschnitt verfehlte seine Wirkung. Was nutzte es da, dass er sie geküsst und auf unausdenkliche Weise berührt hatte, wenn er sie nur zwei Wochen später behandelte, als sei sie mit einer ansteckenden Krankheit behaftet. Und besaß auch noch die Frechheit, ihr seine neueste Gespielin ins Haus zu schleppen– an den Dinnertisch ihrer Mutter!
Emily zupfte an ihrem Ärmel und riss sie aus ihren quälenden Gedanken. » Wer ist das?«, flüsterte sie.
» Mrs. Sophia Laurel. Hast du nicht zugehört?«, gab Missy unwirsch zurück, während sie mit der Schwester ein Stück hinter den anderen zum Speiseraum schlenderte.
» Oh, stell dich bitte nicht dumm. Du weißt genau, was ich meine. Ist das seine…, du weißt schon?«
Die Frage brachte Missy auf die Palme. » Woher um alles in der Welt soll ich das wissen?«, platzte sie laut heraus, sodass alle sich umwandten und fünf Augenpaare sie anstarrten. Sie lächelte entschuldigend und schloss zu der Gruppe auf, um Emilys Neugier zu entgehen. Jede ihrer Bewegungen drückte Abscheu aus.
Auch das erlesene Menü vermochte sie nicht zu besänftigen. Dabei konnte Missy sich nicht erinnern, wann das letzte Mal Schildkrötensuppe, gefüllter Fasan und Wildente, diverse Pasteten und Lerchenpudding serviert worden waren– an ein und demselben Abend. Die Viscountess hatte wirklich alles aufgeboten, was gut und teuer war. Unglücklicherweise war es die reine Vergeudung, soweit es sie betraf. Sie stocherte auf ihrem Teller herum, knabberte lustlos an ein paar Stücken. Wenn sie sprach, dann ausschließlich an ihre Mutter und ihre Schwestern gerichtet.
An den lebhaften Tischgesprächen beteiligte sie sich nicht, bei denen es vor allem um den Goldraub ging, der ganz London seit Mitte Mai in Atem hielt. Alle ergingen sich in Spekulationen über die Täter, nur Missy hüllte sich in Schweigen, doch schien niemand es zu bemerken.
Es war ihr auch herzlich gleichgültig, dass Mrs. Laurel sich für Politik interessierte und sich für den neuen Premierminister begeisterte. Ganz im Gegensatz zu Thomas und James, die keine Sympathien für Lord Palmerston hegten. Ein weiteres Thema, über das sich hervorragend kontrovers diskutieren und streiten ließ. Missy aber schwieg und kochte vor Wut, weil die Frau nicht nur schön, sondern auch noch intelligent war. Ein Grund mehr, sie nicht zu mögen.
» O Mama, das ist einfach himmlisch.« Sarah strahlte, als das Dessert
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