Verbotene Sehnsucht
reichlich entlohnt hatte, betraten sie das Haus gemeinsam durch den Dienstboteneingang. Der junge Diener schaute nach, ob die Luft rein und der Weg zu ihrem Schlafzimmer frei war, bevor Missy sich mit einem gezwungenen Lächeln für seine Dienste bedankte, nach oben lief und die Tür verriegelte.
Auf dem Weg zum Bett fing sie ihr Bild im Spiegel auf. Sie sah aus wie eine Frau, die in ihrem tiefsten Innern verletzt worden war und eine große Enttäuschung erlebt hatte. Das dichte Haar umstand wirr ihren Kopf, ihre Lippen waren von seinen leidenschaftlichen Küssen gerötet und geschwollen. Ein Stechen zwischen den Beinen erinnerte sie an den Verlust ihrer Jungfräulichkeit. Gleichzeitig strömte erneut Hitze durch ihren Körper, als sie an die erlebte Lust in seinen Armen dachte. Wie sich ihr Verlangen nach ihm steigerte, wie sie sich in seine Hände schmiegte, die sie liebkosten. Und wie sein Mund ihre Brust suchte und sie von der süßen Qual erlöste. Vertraute Gefühle kehrten zurück, und wieder schien sich das Blut in ihrem Unterleib zu sammeln und ihn mit einem beständigen Pochen zu erfüllen.
Doch dann fiel ihr ein, was anschließend geschehen war, und sie warf sich aufs Bett. Beschimpft hatte er sie, sie beschuldigt, nichts anderes gewollt zu haben, als ihn zu verführen. Und trotzdem vermochte nichts die kostbaren Erinnerung an ihre Liebe, oder wie auch immer er es zu nennen wünschte, zu löschen. Und auch nicht das Verlangen in ihr.
Wie trockenes Laub bei starkem Wind wirbelten ihr die Gedanken im Kopf herum. Ein gebrochenes Herz und Schamgefühle lagen im Widerstreit miteinander, ebenso wie ihre Sehnsucht und die erlittene Demütigung. Zu ihrer Schande musste sie gestehen, dass alle verunglimpfenden und zornigen Worte nichts an ihrer Liebe zu James zu ändern vermochten. Sie wünschte sich manchmal, sie könnte sie sich aus dem Herzen reißen und ihn hassen, doch sie brachte es nicht fertig. James war ihr Schicksal.
Aber was sollte sie jetzt tun mit dieser Liebe? Natürlich würde sie niemandem ein Sterbenswörtchen verraten, genauso wenig wie er. James schätzte das Leben, das er führte, und zwar ohne Ehefrau. Doch was geschah, wenn der Butler oder der Kammerdiener ihr Kommen und Gehen beobachtet hatten und sich zu kompromittierenden Äußerungen hinreißen ließen? Sollte ein derartiges Gerücht die Runde machen, wäre sie ruiniert, würde von der Gesellschaft und vor allem von jedem respektablen Mann gemieden. Und ihre Familie? Die Schande wäre unermesslich, ebenso der Schaden für das gesellschaftliche Ansehen.
Und James.
Ein ängstliches Seufzen kam über ihre Lippen. Was würde James tun? Er hatte die Schwester seines besten Freundes kompromittiert. Es gab einen Konsens, was ein Gentleman in einer solchen Situation zu tun hatte: ihr einen Heiratsantrag machen.
Plötzlich lief ihr ein freudiger Schauder über den Rücken. Eine Hochzeit mit James wäre für sie der Gipfel aller Träume, die Erfüllung all ihrer Sehnsüchte. Aber zugleich ein Schritt, den er ihr bis zum Ende ihres Lebens vorwerfen würde. Nein, so wollte sie ihn nicht– zu seinen Füßen geworfen wie ein lästiges Gepäck. Lieber würde sie sehenden Auges den gesellschaftlichen Ruin hinnehmen, als ein solches Schicksal zu ertragen.
12
B edauern lähmt die Tatkraft, dachte James.
In den vergangenen zehn Minuten hatte er nichts anderes getan, als das Glas zwischen seinen Handgelenken hin und her zu drehen und zuzuschauen, wie der Brandy hochschwappte und um den Rand kreiste, bis der Wirbel sich beruhigte und er erneut einen Schluck nehmen konnte. Ernüchtert und in gedrückter Stimmung verlor sich sein Blick in dem geschliffenen Glas in seiner Hand, während er zu grübeln anfing.
Weil die Erinnerung an Missy in jedem Winkel seines Hauses zu lauern schien, hatte er sich an den einzigen Ort zurückgezogen, an dem er Trost zu finden hoffte: zu White’s, in den Club.
Hier herrschte rege Geschäftigkeit, doch fand er heute keinen rechten Gefallen an der ausgelassenen Heiterkeit und den typisch männlichen Gesprächen und Witzen. Dicker Zigarrenrauch hing in der Luft, waberte um die Gläser auf den Tischen und um die Lampen an den Wänden und Decken, tauchte den Raum in einen diffusen Nebel. James saß alleine in einer Ecke, denn seine unübersehbare Wortkargheit hatte wohlgesinnte Bekannte, die sich mit ihm unterhalten wollten, gleich vertrieben.
Er hatte Missy verdorben.
Durch seine Schuld war ein jungfräuliches Mädchen
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