Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
nie«, erwiderte Phillip, »und jetzt zeig uns endlich unsere Zimmer!«
»Natürlich.« Der Wirt beeilte sich. Es stellte sich heraus, daß die Zimmer sich über sämtliche Stockwerke verteilten, weil häufig auf einem der engen Flure nur ein einziges Zimmer Platz hatte und dort sonst nur noch ein paar Rumpelkammern zu finden waren. Harriet und Phillip bekamen ein Zimmer im ersten Stock, John eine Kammer neben ihnen. Agatha sollte mit den drei Kindern im zweiten Stock schlafen und die übrigen Diener in einem ganz anderen Flügel. John zeigte sich über diese Regelung etwas besorgt. Nachdem der Wirt verschwunden war, sagte er zu Phillip:
»Ich hätte es lieber gesehen, wenn wir alle zusammengeblieben
wären. Ich habe kein gutes Gefühl wegen der Leute dort unten.«
»Meinen Sie damit, daß sie gefährlich werden könnten?« fragte Harriet entsetzt.
»Sie sind betrunken. Und Lord Sheridy hat ihnen zuletzt noch ein paar provozierende Worte hingeworfen.«
»Ach, ich habe provoziert!« brauste Phillip auf. »Dieses Pack nimmt sich die größten Unverschämtheiten heraus, und ich darf mich nicht einmal verteidigen. In welcher Zeit leben wir eigentlich? «
»Ich möchte jetzt schlafen«, verlangte Harriet, »John, nicht wahr, uns wird nichts geschehen?«
»Ich werde jedenfalls wach bleiben«, entgegnete John. »Wenn ich etwas Verdächtiges bemerke, wecke ich Sie!«
Alle wünschten einander eine gute Nacht und verschwanden in ihren Zimmern. Die drei Kinder mußten mit Agatha eine weitere Treppe hinaufsteigen, wo sie zwei schäbige kleine Räume vorfanden. Agatha wollte mit Joanna in dem einen schlafen, Cynthia und Elizabeth sollten sich den anderen teilen.
»Ihr redet nachts zuviel, Joanna und Elizabeth«, meinte Agatha streng, »und es ist gut, wenn ihr mal wieder etwas Ruhe findet!«
Elizabeth fand es unangenehm, mit Cynthia schlafen zu müssen. Diese nutzte ihre Rechte als Ältere auch sofort und schnappte sich das bessere Bett. Es stand nahe der Tür und sah breit und weich aus, während sich das von Elizabeth in einer zugigen Ecke unterhalb des Fensters befand.
»Leg dich gleich schlafen«, befahl Cynthia. Sie selbst trat vor den Spiegel über dem Waschtisch und bürstete schwungvoll ihre langen blonden Haare.
»Ach, einen Mann wie John Carmody würde ich gerne einmal heiraten«, murmelte sie träumerisch. »Sieht er nicht wundervoll aus?«
Elizabeth war nicht ganz sicher, ob diese Frage an sie gerichtet war, und schwieg daher. Aber Cynthia drehte sich zu ihr um.
»Nun?« forschte sie.
»Er ist sehr lieb«, erwiderte Elizabeth. Cynthia verzog das Gesicht.
»Lieb«, wiederholte sie, »als ob es darauf ankäme! Das verstehst du wohl nicht!«
Elizabeth hatte tatsächlich das Gefühl, nicht genau zu verstehen, was Cynthia meinte, aber es ärgerte sie, daß diese so großartig tat.
»Du bist auch erst elf Jahre alt«, sagte sie schnippisch.
»Na und? In zwei Wochen bin ich zwölf! Viele Mädchen werden mit zwölf schon verheiratet!«
Elizabeth zog die dünne Decke bis unters Kinn.
»Ich will jetzt nicht übers Heiraten reden«, sagte sie, »ich will schlafen.«
»Ja, schlaf nur. Aber eines kann ich dir sagen: Ich heirate, sobald ich nur kann, und dann sieht mich hier niemand wieder!« Sie sprang in ihr Bett. Elizabeth rollte sich auf die andere Seite, antwortete nicht und schloß einfach die Augen. Cynthia blies die Kerze aus, die neben ihr stand, seufzte noch einige Male, aber schien dann rasch einzuschlafen, denn nur noch ihr gleichmäßiger Atem war zu hören.
Elizabeth schlief unruhig. Sie begann wirr zu träumen, ohne dabei genau zu wissen, ob sie schlief oder in halbwachem Zustand in diesem Zimmer lag. Die merkwürdige Atmosphäre der Wirtsstube drängte in ihre Erinnerung, das Unbekannte hatte sie tief beeindruckt, diese fremde Welt, die sie nicht zu begreifen vermochte, weil sie sie vorher nie erlebt hatte, nicht in Louisiana, nicht in New York und nicht in Heron Hall. Armut und Schmutz, Alkohol und Haß waren Dinge, die nicht in ihr Leben gehörten. Sie war auch noch zu klein, um dieses Neue zu begreifen, aber sie spürte, wie es ihre Gefühle erregte. Sie träumte von dem jungen Mann, der aufgestanden und vor sie hingetreten war, sie sah seine übergroßen dunklen Augen, in denen ein so verzweifelter Haß funkelte, und plötzlich verwandelte sich der Mann in John, aber der Blick blieb, dieses faszinierende, zornige Aufbegehren. Sie hörte wieder die lauten Stimmen, die sich zu Schreien
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