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Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Titel: Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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mitleidig an, dann trat er an Elizabeths Sofa.
    »Wie geht es dir?« fragte er. Sie strahlte ihn an.
    »Wunderbar«, sagte sie.
    »Das freut mich. Nachdem unsere Freunde, die Soldaten, gekommen waren, sah ich mich wieder nach dir um und merkte, daß du in der Zwischenzeit eingeschlafen warst.«
    »Ich glaube, das geschah wegen meines Beines«, entgegnete Elizabeth. Sie mochte nicht zugeben, daß das Blut des Feindes die Ursache gewesen war.

    »Ich finde, wir sollten alle noch ein wenig schlafen«, meinte Phillip, »ein paar Stunden sind von der Nacht ja noch übrig.«
    Natürlich fand kaum jemand Schlaf. Cynthia verbrachte die Nacht damit, sich alle fünf Minuten bei Elizabeth wegen ihrer überstürzten Flucht zu entschuldigen, und Elizabeth versicherte jedesmal, das sei gar nicht schlimm, aber sie hörte in Wirklichkeit kaum zu, sondern dachte an ihr Erlebnis und an John.
    Nie werde ich einen anderen Mann lieben, dachte sie überschwenglich.
    John hatte ihre Liebe in dem Augenblick errungen, als er ihr das Leben rettete. Sie ahnte nicht, daß sie sich siebzehn Jahre später für diese Nacht würde revanchieren müssen und daß sie es tun würde, ohne mit der Wimper zu zucken.
    »Bist du mir wirklich nicht böse?« fragte Cynthia. Elizabeth richtete sich auf, ihre Augen funkelten.
    »Aber nein, Cynthia«, erwiderte sie, »mir konnte doch nichts geschehen. John war ja da!«
    Entgegen ihren Reden vom Abend gab sich Cynthia jetzt trocken. »John ist auch nur ein Mensch«, sagte sie, »sie hätten ihn leicht töten können!«
    »Er ist stärker als sie alle!«
    »Glaub das doch nicht! Eines Tages wirst du aufwachen und feststellen, daß er nicht stärker ist als andere auch!«
    »Du redest auch jede Minute andersherum«, entgegnete Elizabeth böse. Sie drehte sich auf die andere Seite, denn sie wollte allein sein mit ihren Träumen.
     
     
    Wenige Tage danach erreichten sie an einem späten Nachmittag London. Es regnete, als sie in die Stadt kamen, nur wenige Menschen hasteten durch die Straßen, und tief über allen Hausdächern lastete dichter Nebel. Elizabeth, die von Zeit zu Zeit ihren Kopf zum Fenster hinausstreckte, fand nicht sehr schön, was sie hier sah. Enge Gassen und düstere Häuser, ein paar verwahrloste Katzen, ärmlich gekleidete Menschen und über allem ein seltsam fauliger Geruch nach uralten Abfällen und nach dem Wasser der völlig verschmutzten Themse, die zu nichts anderem als zur
Schmutzbeseitigung der Fabriken diente. Die Stadt hatte gar nichts gemeinsam mit dem schönen, lieblichen Heron Hall. Obwohl schon die Dunkelheit hereinbrach, trieben sich draußen noch Bettler herum. Sie warfen sich beinahe vor die heranrollenden Kutschen, um sie zum Anhalten zu zwingen, aber die Kutscher verjagten sie mit geübter Brutalität. Joanna und Elizabeth stießen gleichzeitig einen Schrei aus, als sie einen Mann bemerkten, der an eine Hauswand gelehnt auf den Pflastersteinen kauerte und den Vorüberfahrenden beide Arme entgegenstreckte. Es war furchtbar. Er hatte keine Hände mehr, sondern seine Arme endeten mit blutverkrusteten Handgelenken.
    »Oh, Agatha, sieh nur«, rief Elizabeth, »der arme Mann hat keine Hände mehr!« Sie weinte beinahe vor Mitleid, doch Agatha blieb unerschütterlich.
    »Man hat sie ihm abgehackt«, erklärte sie, »das tut man bei Dieben. Dieser Mann muß schon zweimal versucht haben, etwas zu stehlen, da ihm beide Hände fehlen.«
    »Bitte, wir müssen ihm etwas geben«, verlangte Joanna, »er hat bestimmt schon lange nichts mehr gegessen.«
    »Nichts da! Wenn er essen will, soll er arbeiten. Und wenn er arbeitet, dann kann er auch essen!«
    »Aber er kann nicht arbeiten, wenn ihm doch seine Hände fehlen«, gab Joanna zu bedenken.
    »Das hätte er sich vorher überlegen müssen«, sagte Agatha, »und jetzt seid still, Kinder. Wir sind doch schon an dem Mann vorbei!«
    Allmählich wurde die Gegend angenehmer, zugleich verstärkte sich jedoch die Dunkelheit, so daß nur noch wenig zu sehen war. Sie waren von Osten her in die Stadt gekommen und hatten daher zunächst die grauenhaften Armenviertel durchqueren müssen, nun nahm sie der Westen auf, mit seinen schönen Häusern und gepflegten Parks. Das Stadthaus der Sheridys lag nahe dem ehemaligen Königspalast Whitehall und war fast hundert Jahre alt, groß und eindrucksvoll, verschwenderisch gebaut. Ein Pferdestall gehörte dazu, ebenso ein großer Hof, in dem einige alte Eichen standen. Hinter der Mauer, die den Hof gegen
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